Von Matthias Bosenick / Fotos von Nils Koopmann und Matthias Bosenick (25.06.2016) / Auch veröffentlicht auf Kult-Tour Der Stadtblog
Von Würz- nach Wolfsburg: Die schonnichtmehrjunge Neo-Black-Metal-Hoffnung Der Weg einer Freiheit gibt sich ein Stelldichein im sympathischen selbstverwalteten Jugendhaus Ost in Wolfsburg. Als Beifang bekommt man die metalbasierte Stilmixbesonderheit Fäulnis aus Hamburg, die Deathcorer Fit For An Autopsy aus New Jersey und die Postschwarzmetaller Ära Krâ aus Berlin dazu. Ein herrlich breites Spektrum und eine lustige Party nicht nur für langhaarige Schwarzgewandete. Für die inoffizielle Rahmenunterhaltung sorgen Patch-Bingo und eine Werprinzessin.
Selbstironie ist nicht jeder Subkultur gegeben, dem Metal (und dem Punk) aber überwiegend schon. Wenn derjenige Gast, der vor dem Konzertbeginn grinsend das Patch-Bingo vorschlägt, selbst mit Kutte aufgelaufen ist, lacht man mit ihm über diese Idee. Auch die Bandshirts werden – meistens wohlwollend – untereinander wahrgenommen: von Aphex Twin bis Bohren und der Club Of Gore reichen die artfremderen Motive, die szenerelevanten Sachen können Uneingeweihte ohnehin nicht entziffern. „Ich kann nur Burzum wirklich erkennen“, sagt einer, aber an einem Ort wie diesem findet man deren Logo selbstverständlich nicht.
Gehen wir den Abend aber rückwärts an: Den größten Zeitrahmen haben Der Weg einer Freiheit. „So klein wird man die nie wieder zu sehen bekommen“, sagt einer vom Ost und hat damit höchstwahrscheinlich Recht. Denn die Würzburger sind längst schon kein Geheimtipp mehr, der Bekanntheitsgrad hat die Black-Metal-Szene bereits verlassen. Zu Hipsterlieblingen wie etwa Liturgy schaffen sie es gottlob trotzdem nicht, machen sich dafür aber bei Puristen damit unbeliebt, dass sie selbst keine sind. Klare Passagen bereichern das blastbrutale Set, das selbst im ausuferndsten Gemoshe noch ausdifferenziert aus den Boxen dringt. Einzig der Sound der Bassdrum nervt: Den Trigger hätt’s nicht gebraucht. Interessant ist, dass die Leute vor der Bühne nicht nur die in hoher Tonlage geschrienen Texte auswendig können, sondern sogar die progressiven Passagen mit den Fingern exakt mitspielen. Und weil die Black-Metal-Anteile fürs Kopfnicken einfach mal zu schnell sind, beugen sich die Langhaarigen schlichtweg vornüber und putzen mit ihrer Matte den Boden. Nach 75 Minuten ist auch der letzte Nacken gebrochen. Es geht hinaus aus dem schwülen Ost in die frische Nachtluft.
In den Umbaupausen ist das Draußen ohnehin der begehrteste Ort nach der drückenden Hitze und dem sintflutartigen Unwetter. Für manche Gäste liegt da aber ein Kritikpunkt: Ihnen sind die Pausen zu lang, zu Lasten der Spielzeit der drei anderen Bands. Ihrer Ansicht nach hätten entweder die Pausen kürzer sein oder das Ost auf eine Band verzichten sollen. Andere sagen, dass das genau richtig war: Die Stilbreite war enorm, man entdeckte Neues auf unkompliziert kurze Dauer und hatte ausreichend Muße, sich zwischen den schweißtreibenden Gigs abzukühlen.
Besonders mit Fäulnis hätten deren Fans viel mehr Zeit verbringen wollen. So brillant Der Weg einer Freiheit den Black Metal runderneuern, so aberwitzig kombinieren Fäulnis Stile, die man selbst nicht zusammengefügt hätte. Die Band wirkt wie aus einem zufälligen Treffen der besten Mitglieder fünf verschiedener Bands zusammengesetzt, die gemeinsam etwas Vernünftiges kreieren. Sänger Seuche gebiert sich wie ein Pöbel-Proll und grölt wie ein Saufpunk. Mit Hosenträgern, Bierwampe, Schnauzbart, Koteletten, Strubbelfrisur und latent wahnhaftem Blick unterstreicht er den Eindruck. Und fügt dem paradoxerweise hinzu, dass er dabei sympathisch wirkt. Musikalisch gibt es Anteile von blasthartem Black Metal, Rock’n’Roll nach Motörhead-Art, Psychedelic, Punkrock und einigem dazwischen. Alles besteht nacheinander, aber miteinander, manchmal gleichzeitig. Seuche verlässt gegen Ende des Gigs die Bühne wie ein erfolgreicher Boxer nach schwerem Kampf und lässt seine Band noch eine Weile spielen. Das Publikum bangt dankbar weiter.
Deutlich gewöhnlicher sind Fit For An Autopsy. Aber mit einer Fanbase, die die Texte lippensynchron in das vom Sänger in die Meute gehaltene Mikro growlen. Mit attraktiverer Stimme, muss man feststellen. Denn das originale Growlen liegt etwas zu dicht am Screamo. Die Mucke selbst ist Deathcore, also eine härtere Variante des Hardcore, der mit brutalem Tempo abwechselnd zum Hüpfen und Nackenbrechen auffordert. Manche Stücke klingen, als würde eine Handvoll schwerer Gegenstände rhythmisch eine Kellertreppe hinabkullern. Tiefergestimmt und melodisch die Musik, mit gereckter Pommesgabel im Kreis nickend der Sänger: Der Gig in Wolfsburg sei der beste der aktuellen Deutschlandtour, sagt er, und die Leute seien „fuckin‘ awesome“. Klar. Alles etwas simpel, aber mitreißend und partytauglich. Und deutlich extrovertierter als die erste Band.
Die ins Gesicht gekehrte Emofrisur des Sängers unterstreicht den Eindruck von Introvertiertheit, den auch die Musik von Ära Krâ transportiert. Zwar schreit der junge Mann amtlich ins Mikro, stellt aber kaum eine Verbindung zum Publikum her. Seine Band spielt eine teilweise epische postrockige Variante des modernen atmosphärischen Black Metal, der sich gelegentlich mit Blastpassagen Bahn bricht. Der Sound ist rauh und dreckig, das unterscheidet die Band angenehm von vielen exakt abgezirkelt produzierten Mitbewerbern. Auch die zwischengeschalteten Stopps in der Musik gefallen. Allein, es fehlt der Musik etwas an Tiefe – was der Sänger damit erklärt, dass der Bassist leider nicht dabei sein kann. Stimmt, das ist es, und mit diesem Wissen staunt man darüber, wie gut die verbliebenen vier Musiker das überspielen können.
Vor dem Heimweg durchs regennasse Wolfsburg steht das – nun – metaltypische Kuscheln an. Besonders die massigen, langhaarigen, bärtigen Männer neigen angenehmerweise dazu. „Du auch?“, fragt einer, der eigentlich nur kurz ein paar Freunde in die Nacht entlassen will. Klar, gern! Grinsend stellt er nach dem Knuddeln fest, dass er eigentlich eine Werprinzessin sei. Bei Vollmond sei er nämlich ganz in Pink mit Krönchen, „und sonst sehe ich halt aus wie jetzt“, sagt er schulterzuckend. Trve!