Von Onkel Rosebud (17.11.2023)
Es kommt eigentlich nicht vor, dass ich Bammel vor einem Konzert habe. Bei Peter Hook, Mitbegründer von Joy Division und New Order, mache ich eine Ausnahme, denn er hat sich mit Band angesagt, um Songs von ebendiesen, meinen Ikonen der Popkultur, vorzutragen. Die Erwartungshaltung ist riesig und was wird das emotional mit mir machen? Joy Division waren das größte Versprechen der Musikgeschichte. Hauptsächlich wegen Ian Curtis‘ Bariton, der den depressiven Charakter der Musik, die die Band unverwechselbar machte, maßgeblich prägte. Peter Hook bediente damals den Bass. Sein Instrument wurde in den Songs oft als melodieführend eingesetzt. Er spielte auf den hohen Saiten und erzeugte diesen „Heavy-Chorus-Effekt“, die nach ihm benannte sogenannte „Hook-Line“. Dachte ich lange.
Irgendwann begriff ich, dass eine Hook keine markante Bassline vom Peter aus Manchester, sondern eine musikalische Idee ist, die als Hauptmotiv eines Musikstücks eingesetzt wird. Ein kurzes Gitarren-Riff oder eine Keyboard-Passage, die dann oft melodisch oder rhythmisch im Refrain wiederholt wird. Schönes Missverständnis – trotzdem.
Peter Hook hat sich mit Bernard Sumner, dem anderen – neben Stephen Morris – Gründungsmitglied von Joy Division und Sänger und Gitarrist von New Order, zerstritten. Langjährig verklagten sie sich und einigten sich außergerichtlich über die Verwendung der Namen und des Songmaterials. Und so musste der Peter erst 67 Jahre alt werden, um dieses Konzert in Dresden vor einer großen Fangemeinde und meiner Freundin anzutreten.
Die Show dauerte 157 quälende Minuten. Los ging’s mit einem 15 Songs umfassenden New-Order-Set aus den ersten vier Platten: „Movement“ (1981), „Power, Corruption & Lies“ (1983), „Low-Life“ (1985) und „Brotherhood“ (1986). Der Moment, wo „Blue Monday“ mit dem hämmernden Drumcomputer-Beat beginnt und sich die Melodie langsam unterschiebt – da knie ich kurz nieder – auch, wenn es nur Halb-Playback ist. Es war der Soundtrack meiner Jugend und heh, wo wäre ich heute ohne „Blue Monday“? Wahrscheinlich up-to-date beim „Black Friday“. Das Set endet mit „Bizarre Love Triangle” und dann schlussendlich „True Faith”, mein Lieblingslied von New Order. Mein Kumpel XL hat im Buch „Various Artists – Ich Liebe Musik Vol. 2“ (2020, Windlust Verlag) einen denkwürdigen Text darüber geschrieben, warum der Song einen an miesen Tagen von übler Laune befreien kann. Ich konnte schon immer gut dazu mitsingen. Eigentlich verabscheue ich Mitsinger (und Mitklatscher) auf Konzerten, aber ich kann nicht anders. Mein Bariton will den Körper verlassen: I feel so extraordinary, Something’s got a hold on me, I get this feeling I’m in motion, A sudden sense of liberty. Mir läuft ein Glücksgefühl-Schauer über den Rücken.
Meine Freundin hatte mal eine Phase, in der sie regelmäßig joggte. Den Lauf-Rekord auf der 5-Kilometer-Runde konnte sie nur mit Hilfe meiner Best-Of-New-Order-Compilation aufstellen, sagte sie mal. The Loneliness of a middle distance runner, aber ich schweife ab.
Nun folgte der Joy-Division-Teil des Abends. Mein Bammel begründete sich auf die Fragen, kann Peter Hook Ian Curtis sängerisch ebenbürtig sein? Sind die vorgetragenen Songs Coverversionen oder interpretierte Originale? Habe ich genug Taschentücher dabei, um alle Tränen aufzufangen, falls „Decades“ erklingt? Ich hatte mal eine Phase, in der ich regelmäßig (am 18. März des jeweiligen Jahres) den Film „Control“ (Anton Corbijn, 2007) gesehen habe. Die damit verbundenen Nebenwirkungen hatten was von der Einsamkeit eines Mittelstreckenläufers, aber ich schweife wieder ab.
Da aber Peter Hook nur die Rechte an der Aufführung der 1988 erschienenen Werksschau von Joy Division namens „Substance“, so auch der Titel der Tour“ Substance 35th Anniversary“, erstritten hat, erwarte ich nicht, dass der Song „Decades“ erklingen wird. Taschentücher werden nicht gebraucht, auch nicht bei Songs wie „She’s Lost Control“, „Dead Souls“ und „Atmosphere“. Und ganz am Ende natürlich „Love Will Tear Us Apart“. Warum dieser Song auch nach gefühlt tausendmal hören quasi immer noch das Blut in den Adern gefrieren lässt, weiß eigentlich jeder, der mit dem Lesen dieses Artikels bis hierhin gekommen ist.
Peter Hook kann nicht Ian Curtis. Die Stimme ist brüchig. Die vorgetragenen Songs sind wie nur Coverversionen. Der ganze Auftritt irgendwie uninspiriert. Kein Funke springt über.
Unge„hook“t ist
Onkel Rosebud