Bohren & der Club Of Gore – Live beim Festival Theaterformen, Gartenhaus Haeckel, Braunschweig, am 2. Juni 2012

  

Von Matthias Bosenick (03.06.2012)
Fotos von Rüdiger Knuth

Wer hätte das gedacht, dass ausgerechnet das Konzert von Bohren & der Club Of Gore, der Doom-Jazz-Band, der der Ruf der extremen Langsamkeit anhaftet, zum wahrscheinlich lustigsten Konzert des Jahres – schon jetzt! – werden würde? Dabei lag es doch so nahe (und klang mit geschlossenen Augen auch so): Bohren kommen aus Mülheim an der Ruhr – wie ein anderer wichtiger zeitgenössischer Jazzer, nämlich Helge Schneider. Bei den enorm witzigen Ansagen und einem fast zweistündigen Programm, das sich musikalisch zwar nur wenig von den Alben unterschied, war es dann auch verkraftbar, dass das Schlagzeug komplett vom Band kam. Den Grund erläuterten die verbliebenen drei Musiker im Verlauf der Nacht.

Den Drang zur Selbstironie offenbarte das Trio schon bei seiner Vorstellung: Als „unromantische Band aus Nordrhein-Westfalen“ bezeichnete sie Christoph Clöser, „Club“ übrigens deutsch, nicht englisch aussprechend. Er sprach dabei stets so schleppend, wie die Band spielte – alles fügte sich. Robin Rodenberg zupfte gelegentlich den Bass und lieferte damit den Unterbau für die Stücke, Morten Gass schuf mit seiner Orgel repetetive Melodien und auch mal einlullende Soundteppiche, Clöser fügte allem Details an Saxophon, Keyboard, vollends verfremdeter Gitarre oder Vocoder hinzu. Ab und zu erklangen das gesampelte Hi-Hat und die Bass-Drum des abwesenden Thorsten Benning. Man sagt Bohren eine Metal-Vergangenheit nach; da wunderte man sich schon, dass das dominierende Instrument neben dem Bass die Orgel war und dass die kaum beanspruchte Gitarre dann wie weiland bei The Young Gods nach einem Keyboard klang.

Das Erstaunliche an der Musik von Bohren ist immer, dass sie sich auf dem Papier liest, als sei sie leer, es in Wirklichkeit aber nie ist. Bei Bohren kommt – im Gegensatz zur Eigeneinschätzung („Bohren bore“) – nie Langeweile auf. Und so langsam, wie man ihnen nachsagt, sind sie auch nicht. Bisweilen hetzten sie fast durchs Programm, gemessen an dem Bild, das man davon hatte. Zwar stehen Bohren mit ihrem Sound allein auf weiter Flur, so allein, dass sich selbst Helden wie Mike Patton und die Melvins vor ihnen verneigen, dennoch erinnerte ihre Musik an andere Bekannte: An Painkiller etwa (kein Wunder, dass Mike Patton Bohren mag) oder an einen Angelo Badalamenti, dem man ein Depressivum verabreichte. So minimalistisch wie die Musik war auch die Bühnenbeleuchtung, die aus wenigen Spots bestand, die im gleichen Tempo wie die Musik ihre Farben wechselten, also recht selten.

Tja, und während die Band also den proppevollen Platz am Gartenhaus Haeckel somnambul in die Nacht wiegte, bewies Clöser mit seinen Ansagen, was man mit Blick auf die Alben- und Songtitel schon immer ahnte: Bohren haben Humor. Von einem „Stück von unserer neuen Tonträgerin ‚Beileid’“ behauptete Clöser, „es handele“ – Frechheit genug bei einer Band, die bis auf eine Ausnahme ausschließlich Instrumentalstücke veröffentlicht – „von Häusern, die abgerissen werden müssen, weil sie nach Blumenkohl stinken“. Gemeint war „Zombies Never Die“. Von „Still am Tresen“ behauptete er, es handele von dem vergeblichen Versuch eines Mannes, nachts in der Bar eine Frau anzusprechen, „vom Dreiklang Saufen-Versagen-Jammern“ und von dem bekannten Phänomen „nüchtern zu schüchtern, besoffen zu offen“. Der Schlagzeuger, erläuterte Clöser nun, sei deshalb nicht dabei, weil er von der Leiter gestürzt sei, „als er in der Bibliothek nach einem Buch gesucht hat“. Das sei zwar traurig und Clöser hoffe, das Publikum sehe das genauso, aber: „Wir spielen trotzdem weiter.“ Nach anderthalb Stunden kündigte Clöser das letzte Stück an und behauptete: „Wer uns schon mal live gesehen hat, weiß, dass wir keine Zugaben geben, dass wir Typen sind, die ihre Spielfreude im Griff haben.“ Für das begeisterungsfähige Braunschweiger Publikum ändere die Band ihr Konzept; eine halbe Stunde Programm folgte dem noch, unter anderem mit dem Titelstück des neuesten Albums „Beileid“, einem „16-minütigen Tränentöter“, dem Clöser die Frage vorwegschickte: „Warum seine Zeit mit sinnlosem Tun vergeuden, wenn man sie auch sinnlos verstreichen lassen kann?“ Das Publikum lachte Tränen und spornte die Band mit ihrem teils tosenden Zuspruch zu noch mehr Langsamkeit an. Mit ihrer Musik komme die Band überall sehr gut an, so Clöser, „in Celle… Hannover… Hildesheim… Wenn es hier in Braunschweig nicht klappt, liegt es nicht an der Musik“. Unsinn, es klappte in Braunschweig, deswegen verabschiedete sich Clöser auch mit einem stilsicheren „bleibt fröhlich, Braunschweiger!“.

Und wie fröhlich die Braunschweiger blieben. Und: Die Veranstalter des Festival Theaterformen lernten ganz offensichtlich dazu. Das Festival findet im jährlichen Wechsel in Hannover und Braunschweig statt. Vor zwei Jahren gab es das kostenlose Livemusik-Angebot, das von der Qualität der auftretenden Musiker her die Linie des von der Braunschweiger CDU aus Gnatz geschlossenen und durch ein neoliberales Luxushotel ersetzten SPD-Projekts FBZ fortsetzt, schon einmal. Damals jedoch waren Veranstaltungsort und Programm so schlecht wie nur irgendetwas beworben. Dieses Mal weht ein Banner über dem Eingang zum Spielort, der angrenzende Parkbereich ist um Liegestühle und eine weitere Theke erweitert, stimmungsvolle Lichter illuminieren den Platz. Man freute sich schon nach Verklingen des letzten Molltons auf das nächste Konzert am Donnerstag mit dem Ex-Fink Nils Koppruch.

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