Von Matthias Bosenick (25.10.2015) / Auch erschienen auf Kult-Tour – Der Stadtblog
Ein intensives Erlebnis für mindestens drei Sinne war das Konzert, das Barnim Schultze mit seinem Akasha Project in der ohnehin schon eindrucksvollen Martinikirche gab: Auf Grundlage der „Kosmischen Oktave“, mathematisch angewandt auf die Rotation der Planeten im Sonnensystem, spielte er auf einer Batterie von Synthesizern eine Art Ambientmusik; das war für die Ohren. Analog zum Sound ergab die Frequenzberechnung auch ein Äquivalent im sichtbaren Bereich, die Kirche war daher in das farblich zum jeweiligen Planeten passende Licht getaucht; das war für die Augen. Manche Sounds waren von solch tiefer Frequenz, dass diese sich über die Kirchenbank auf den Körper übertrugen; das war für die Haut. Auf seine Weise feierte Schultze ein Fest der Spiritualität, konfessionsunabhängig. Die Besucher verfolgten das Geschehen andächtig und so still wie bei einem Klassikkonzert. Das pure Staunen.
Beim Betreten der riesengroßen Kirche am Altstadtmarkt war man zunächst gezwungen, seine eigene Orientierung zu finden: Im unkalkulierbaren Wechsel entflammten die LED-Spots in den Farben, die sie im Verlauf des Konzertes noch einnehmen würden, und färbten das gesamte Innere der Kirche abrupt, intensiv und vollständig um. Tiefes Indigoblau, feuriges Rot, sanftes Violett, warmes Orange, man war beinahe versucht, die Kirche unter diesen Bedingungen neu entdecken zu wollen. Der ohnehin schon sehr ferne Himmel unter der Kirchendecke wirkte besonders im dunklen Blau noch ferner. Einige Dinge verloren ihre Dreidimensionalität, manches verschwand in neuen Schatten, andere Details traten überraschend deutlich hervor. Dieser Schauplatz zwang schon zur Andacht.
So still wie das Publikum war auch Schultze, der es dieses Mal unterließ, Erklärungen für das abzugeben, was er vor dem Altar musikalisch veranstaltete. Stattdessen ließ er den Besuchern am Eingang Zettel mit Erläuterungen aushändigen. Das war dem Anlass angemessen und korrekt. Nicht einmal eine Begrüßung gab es, Schultze legte einfach los. Das bedeutete, dass er im nun abgedunkelten Raum die Kosmische Oktave des ersten ausgewählten Planeten auf einer Stimmgabel anschlug; die Erde war’s. Auf dem Keyboard übernahm er den Ton, um ihn und das Publikum herum nahm die Kirche allmählich die entsprechende Farbe an. So begannen sämtliche Planetenstücke des Abends.
Die Musik, die dann jeweils folgte, ließ sich zeitlich nicht verankern. Ein bisschen Jean Michel Jarre war sicherlich erkennbar, ein bisschen Tangerine Dream; manche Sounds erinnerten an die Siebziger und Achtziger, als solche Musik sich verbreitete. Auch ein bisschen Dead Can Dance ließ sich erahnen, besonders in den sakral anmutenden Chorpassagen, und wenn Schultze bisweilen die im Takt ebenfalls an die Planetenfrequenz angerechneten Beats startete, fing er selbst an, unter der Leselampe auf seinem Maschinenpark zu grooven. Weniger Enigma als Delerium drangen in solchen Momenten durch; weniger Ambient als vielmehr zukunftsweisender Progressiv-Pop wäre ein treffendes Etikett dafür gewesen.
Letztlich wehrte sich Schultzes viel zu eigenständige Musik gegen eindeutige Vergleiche. Die Sounds waren satt, selbst die spärlichen, und das lag sicherlich nicht nur an seinem Instrumentarium, sondern vornehmlich am Ort: Die Kirche als Klangkörper verdichtete die Musik, sie zerstäubte sie nicht. Es kam nicht zu verzerrenden Halleffekten, das war große Kunst und gewiss eine Herausforderung.
Erst nach 75 Minuten, als das Hauptprogramm vorbei war, wagten es die Gäste, überhaupt einmal zu applaudieren, dann aber dafür umso stürmischer. Erst dann richtete Schultze auch das Wort an sie, warmherzig und einnehmend, und gab auch einige Erklärungen ab, unter anderem über die Formel (1/a)*2n=f, auf der die Kosmische Oktave basiert. Seine Zugabe bestand in einem Mitmachstück: Da die Kosmische Oktave der Erdfrequenz den bekannten tibetanischen Ton „Om“ ergab, sollten die Gäste diesen im Stehen begleitend zum Keyboard mitsummen, während Schultze sachte auf seinem Synthesizer darum herum modulierte. Praktischerweise sorgte Schultze so dafür, dass der Abschlussapplaus automatisch in stehenden Ovationen erfolgte. Und das mit Recht.