Hydrahelia, Faun Fables & Sleepytime Gorilla Museum – Live im Hafenklang, Hamburg, am 7. August 2025

Von Matthias Bosenick (08.08.2025)

Was für ein Paket: Sleepytime Gorilla Museum und Faun Fables aus Oakland an einem Abend, mit einer personellen Überschneidung (auf dem Papier, auf der Bühne vollständig) quasi Hauptact und Vorgruppe aus einem Nest. Die einen – Faun Fables – folkig wie Fairport Convention mit Krängung, die anderen – Sleepytime Gorilla Museum – gar nicht erst kategorisierbar, mit ihrem experimentell-avantgardistischen verschachtelten Theater-Post-Irgendwas-Rock-Metal plus Geige. Und als Support mit Hydrahelia Impro-Drones mit Tanzperformance. Lauter sympathischem Menschen auf und vor der Bühne des Hafenklang und ein Abend für die Ewigkeit. Und das für nur 14 Euro.

Der Auftrittsreigen begann, wie er endete: im Publikum. Während Tim Dahl – KrautNick-Lesenden bekannt von seiner Collaboration-LP mit Jörg A. Schneider – noch seinen Bass malträtierte, schlängelte sich Azumi O E mit Komplettgesichtsmaske und unendlich langem geflochtenen Zopf von hinten durch das kleine und angenehm locker besetzte Hafenklang bis vor die Bühne und reagierte physisch auf das, was der Bassist seinem Instrument und seiner Stimme entriss. Zusammen begleitet das Duo als Hydrahelia die Oakländer auf ihrer Europatour, und es hätte kaum einen besseren Einklang geben können.

Dahl machte Lärm. Er hämmerte auf seinem Bass herum und krakeelte Unverständliches in sein Mikro, an das Effektgeräte gekoppelt waren, die seine Worte in Richtungen zwischen Schlumpf und Doom manipulierten, meistens gleichzeitig. Kaum weniger Effekt legte er auf den Bass, mit dem er zunächst noch Riffs oder Licks zu generieren schien, die aber schnell in ein durchgehendes Geräusch übergingen. Rhythmisch oder zumindest nachvollziehbar geloopt war da so gut wie gar nichts, es gab für das unbedarfte Gehirn nichts zum Festhalten, man war ganz dem Sound ausgeliefert.

Na, nicht ganz ganz: Ein breit gefächerter weißer Laser senkte sich sanft von der Decke herab und über Dahl hinweg, der dann wirkte, als werde er gescannt. Sobald dann Azumi O E ihren Weg machte, erreichte das Licht auch sie, die in einem winzigen Pit vor der Bühne zu Dahls Drones performte. Sobald Dahl die Grundierung seiner Drones variierte, veränderte sich auch das Licht, das zuletzt aus einzelnen grünen Strahlen bestand, die sich auch an Azumi brachen. Was mit seinem Lärm wie eine akustische Herausforderung erschien, eroberte jedoch das Publikum – nach gut einer halben Stunde physischer Musik gab es den verdienten Zuspruch der Hörerschaft.

Die Faun Fables sind eine Familienangelegenheit: Kern der Band sind Dawn McCarthy und Nils Frykdahl, als Unterstützung sind bereits auf dem jüngsten Album „Counterclockwise“ deren drei Töchter Edda, Ura und Gudrin zu hören, von denen es zwei mit auf die Bühne schafften, quasi im Partnerlook gewandet, in wallenden einfarbigen Kleidern, eine in Blau, eine in Gelb, mit schwarzen Westen darüber und mit langen, lockigen Haaren, als gute Geister, die beständig strahlend und vor Energie strotzend ihre Beiträge in die Musik einbrachten, stimmlich wie instrumental. Die barfüßige Mutter McCarthy trug ein einfarbig blaues langes wallendes Kleid, Vater Frykdahl sah mit seinem dunklen bedruckten Muskelshirt und der schwarzen Hose eher aus wie die meisten Leute im Publikum, nur dass er ein weiß getünchtes Gesicht hatte und zwei geflochtene Zöpfe an den Seiten baumeln ließ.

Die optische Vorstellung von hippiesker Folklore fand in der Instrumentierung ihre Entsprechung, McCarthy und Frykdahl spielten zunächst akustische und unverzerrte elektrische Gitarre zu ihrem harmonischen Duettgesang aus Sopran und Bariton, während die beiden Töchter im seitlichen Hintergrund der winzigen Bühne freudig strahlend und tanzend den Backgroundgesang beisteuerten. Ab wich der Eindruck von regulärer Folkloremusik indes direkt mit der Komposition: Der Opener, ein aus Polen, wo die Band gerade herkam, mitgebrachtes Lied, bestand aus lediglich einem Ton auf den Saiteninstrumenten, was einen Kontrast setzte zu den lebendigen Gesängen und daher kaum ins Bewusstsein fiel, wenn man nicht genau hinhörte. So klänge es wohl, coverten die Swans dereinst Fairport Convention.

Im Verlaufe des Auftritts wechselten die Musizierenden die Positionen auf der Bühne und auch die Instrumente. Die Töchter legten mit Percussion, Keyboard oder Querflöte vor, die Eltern übernahmen auch mal den Bass oder andere Gitarren, alsbald ebenfalls Flöte und Geschepper. Später gesellte sich die kahlgeschorene Carla Kihlstedt vom Hauptact mit ihrer Geige hinzu und steuerte einen weiteren Folk-Baustein bei, dem die Performance und die Kompositionen so einiges an Widerspruch entgegenzusetzen hatten. Hier stießen lieblich und komplex aufeinander, die Faun Fables kombinierten Mantra mit Expressivität. Insbesondere der kaum zu bremsende Frykdahl legte alle Energie in sein Spiel, das dabei gar nicht so ausdrucksstark klang, wie es aussah, da er seine Beiträge der Gesamtwirkung der Songs unterordnete. Dafür hatte er immer wieder Anekdoten parat, etwa von russischen Liedern über Werwölfe oder von der Grenzpassage zwischen Polen und Deutschland, wo die Band nur wenige Stunden zuvor aufgehalten wurde, was nach seiner Vermutung daran lag, dass man in Deutschland befürchtete, es mit US-Flüchtlingen zu tun zu haben, die sich um einen Daueraufenthalt bemühen würden.

Alle, durchweg alle Beteiligten wirkten aus dem Stand sympathisch. Für das letzte Stück traten die fehlenden Musiker von Sleepytime Gorilla Museum mit auf die Bühne, bereits in ihren Kostümen gewandet: Percussionist Michael Mellender, Bassist Dan Rathbun und der für Matthias Bossi eingesprungene Ersatzschlagzeuger Wes Anderson von Idiot Flesh, der Vorgänger-Band von Sleepytime Gorilla Museum; also nicht der Regisseur, wie man explizit betonte. Acht Personen auf der Bühne, die sämtlichst eine freundliche Ausstrahlung aussandten und die als Brücke zum Hauptprogramm miteinander ein schönes Poplied anstimmten.

Tja, aber das war’s dann auch mit dem Pop. Was die Faun Fables hier ausnahmsweise unterließen, nämlich die theatralische Performance mit Schnickschnack und Schabernack, kam dann bei Sleepytime Gorilla Museum umso expressiver zum Tragen. Das japanische Tanztheater Butoh lieferte die Grundlagen für die Outfits der nun fünf Musizierenden, die mit merkwürdigen Gewändern und geschminkten Gesicherten an ihre Instrumente traten. Mellender sah aus wie eine Überzeichnung vom Rembrandt, Carla Kihlstedt trug ein zerfetztes Kleid mit kugelartigen Bommeln daran und Frykdahl erschien als Alien-Tod, in einem zerfetzten roten Kleid mit roter Kapuze, an der als Iro eine Reihe Leuchtstäbe befestigt war. Was für eine Erscheinung, der Mann, in Bewegung, Sprache, Tanz und Spiel – hätte man ihn nicht vor dem Gig noch gutgelaunt den Bandbus fahren und das Equipment ausladen gesehen, wäre man anhand seiner Bühnenerscheinung nicht direkt auf die Idee gekommen, es mit einem zugänglichen Menschen zu tun zu haben.

Von lieblich war dann nach der kurzen Pause auch gar keine Spur mehr, die Band brach nach einem Intro, das Kihlstedt atmosphärisch dröhnend auf dem einsaitigen Slide-Piano-Log losließ, sofort mit „The Companions“ über das Hafenklang herein. Damit war die grundsätzliche musikalische Ausrichtung schon mal anschaulich dargestellt: Zur Rock’n’Roll-Grundausstattung gehörten zwar Gitarre, Bass, Schlagzeug, aber mit dem Percussionisten an seinem selbstgebauten Instrumentarium ein Industrial-Faktor und mit der Geigerin, deren Violine mit der Gitarre in den Austausch trat, ein zusätzlicher Sound, der vom klassischen Rock abwich. Zumal die Kompositionen von klassischem Rock lediglich ausgewählte Kernelemente übernahmen, gelegentlich gab es tatsächlich mal gerade Rhythmen zum Headbangen oder gar Tanzen, meistens indes hatte man Schwierigkeiten, die Schachtelbeats überhaupt nachvollziehen zu können. Und trotzdem sang das glückselige Hamburger Publikum die Texte mit und schüttelte wahlweise Fäuste oder Nacken zu den absurdesten Breaks. Diese Euphorie übertrug sich spürbar auf die Bühne, es schien, als hätten die Musizierenden über die Show hinweg einen zusehends helleren Glanz bekommen.

Nach dem ersten Song entledigte sich Frykdahl seiner Kapuze und begann, absurde Geschichten zu erzählen, von unter der Fußmatte zurückgelassenen und verschwundenen Schlüsseln oder davon, dass viele der Lieder von Tieren handelten oder auch von Bäumen, während Kihlstedt, die gelegentlich anstelle von Frykdahl den Hauptgesang übernahm, das Publikum dazu aufrief, seine lokalen Anlaufstellen für Gastronomie oder Einzelhandel dazu zu ermuntern, auf Plastik zu verzichten. Weiter im Programm ging es zunächst mit einigen Brettern, bis sich allmählich die Stimmung verschob, es zu kontemplativeren Momenten kam, die indes vielmehr wie ein Luftholen für den nächsten Ausbruch wirkten und sich später auch als solches entpuppten. Auch die Faun Fables kehrten zwischendurch für einen Bonus-Einsatz zurück, überließen der Haupt-Band aber schnell wieder das Feld. Das die dann mit dem Metal sehr naher Musik übernahm. Komplexer Metal mit Geige.

Und mit Groove: Die drei Musiker im Hintergrund fielen vielleicht visuell nicht so sehr auf, dafür umso mehr akustisch. Rathbuns Bass hatte eine magengrubenumwälzende Tiefe, Anderson trommelte sich in die Vielarmigkeit und Mellender ergänzte nicht nur mit metallischen Percussions, sondern auch mit Sondertönen wie denen aus einem umgebauten Xylophon oder einer Trompete. Was die drei an Wumms generierten, unterstrich den Metal- wie den Avantgarde-Anteil.

Man spürte gar nicht die Zeit vergehen. So komplex waren die Songs, so wechselvoll die Performance, dass man den Menschen auf der Bühne an Lippen und Fingern hing und jeden Haken, den die Hasen schlugen, gierig begleitete. Lediglich neun Songs spielte die Band, alle von den letzten drei Alben, ließ also das 2001er Debüt „Grand Opening And Closing“ aus, und doch kamen satte anderthalb Stunden Programm zusammen. Die bemerkenswert und nachhaltig eindrucksvoll endeten: Nachdem auch die Faun Fables wieder auf die Bühne getreten waren, verloren sich die Musizierenden im Chant von „FC: The Freedom Club“, ließen die Instrumente sinken, brachen aber den Gesang nicht ab, schritten unvermittelt von der Bühne und traten mit dem Publikum in Kontakt, weiterhin singend, voller Adrenalin, weil sie die komplexen Songs so energetisch dargeboten hatten, vermutlich zusätzlich in Brand gesetzt von der Euphorie, die ihnen das Publikum entgegenbrachte, bis hin dazu, dass etwa Kihlstedt einzelne Zuschauer nicht nur berührte, sondern – im vorliegenden Falle – sogar lang und fest umarmte, was den Faktor Glückseligkeit, den bereits die Musik ausgelöst hatte, noch ins Vielfache steigerte.

Irgendwann verstummte der Chor, man sah die Bandmitglieder im Publikum verstreut herumstehen. Der komplett verschwitzte Frykdahl ließ sich begeistert ansprechen, aus ihm strahlte etwas, das sich allein aus dem Auftritt speiste und sich in einer Art Frenesie fortsetzte. Seine weit geöffneten Augen waren nicht drogenindiziert, nicht einmal Alkohol hatten die Musizierenden auf der Bühne konsumiert, lediglich an Wasser hatten sie sich gelabt. Das erste Mal in Hamburg, hatte Frykdahl zuvor noch gemeint, waren die Faun Fables und Sleepytime Gorilla Museum sichtlich überwältigt von der Resonanz, die ihnen von den nur wenigen, aber glücklichen Besuchern entgegenschwappte. McCarthy etwa legte am Merchstand beim Kauf der Doppel-LP „Counterclockwise“ extra noch einen Sticker drauf, weil sie sich darüber freute, dass man an ihrer Musik Freude hatte.

Was für sympathische Menschen. Dem Verständnis der anspruchsvollen Musik war es zuträglich, sie beim Entstehen beobachtet haben zu können, ebenso, zu erleben, dass die Platten und die visuelle Außenwirkung zwar mindestens freaky waren, die Menschen jedoch, die dahinterstecken, einnehmend zugänglich. Es ist alles Kunst von tollen Leuten. Danke dafür!

Die Setlist von Sleepytime Gorilla Museum:
01 The Companions (von „In Glorious Times“, 2007)
02 The Donkey-Headed Adversary Of Humanity Opens The Discussion (von „Of Natural History“, 2004)
03 Phthisis (von „Of Natural Histroy“)
04 Burn Into Light (von „Of The Last Human Being“, 2023)
05 El Evil (von „Of The Last Human Being“)
06 Salamander In Two Worlds (von „Of The Last Human Being“)
07 Angle Of Repose (von „In Glorious Times“)
08 Helpless Corpses Enactment (von „In Glorious Times“)
09 FC: The Freedom Club (von „Of Natural History“)