Von Onkel Rosebud
Totensonntag. Was man da eben so macht. Meine Freundin und ich sind in die Bundeshauptstadt gefahren, um das Duo aus New York City live on stage zu erleben. Wir hatten uns das schon mal Jahre vorher vorgenommen. Corona – da war doch was – machte uns einen Strich durch die Rechnung.
Sofi Tukker sind Sophie Hawley-Weld und Tucker Halpern und ihnen eilt der Ruf voraus, mit einer Mischung aus House, Weltmusik und ansteckender Energie eine bodenlose Tanzparty in eine Art von kollektiver Wesenserweiterung umwandeln zu können.
Für meine Freundin und mich ist deren im Jahr 2016 erschiene Debüt-EP „Soft Animals“ (HeavyRoc Music) mit den Smasher-Songs „Drinkee“, „Matadora“ und „Awoo“ sowas wie der ultimative Soundtrack zum Nasswischen. Das ist nicht abwertend gemeint. Lebt man gemeinsam in vier Wänden sind regelmäßige Maßnahmen, die über den Erhalt der Begehbarkeit von Hauptwegen hinausgehen, obligatorisch. Diese gemeinsam und mit Schwung zu erledigen, können wir prima zu Sofie Tukkers verspielter Electronic Body Music aus Kuhglocken, Kastagnetten, Spaghetti-Western-Gitarren und treibenden Bass.
Totensonntag. Was man normalerweise macht, ist früh kurz an das Grab von Ommi schlurfen und sich für den Rest des trüben, grieseligen Tages in eine warme Decke wickeln, um mal wieder „Herr der Ringe“ zu gucken. Nach Berlin zu fahren, um sich von einer energiegeladenen Dschungel-Pop-Band in einer Multifunktionsarena mit enthusiastischem Party-Jungvolk mitreißen zu lassen – glaubt mir – das ist nicht ganz oben auf des Onkels Bucket-List.
Apropos Uber Arena, formerly known as Mercedes-Benz-Arena. Als die Mehrzweckhalle auf dem Gelände des früheren Schlesischen Güterbahnhofes noch O2 World hieß, habe ich da mal die Beach Boys gesehen. Sternstunde meiner Konzerte aller Zeiten: Brian Wilson wurde auf die Bühne getragen und hinter das Klavier gesetzt. Als der Auftritt vorbei war, hatten sie ihn irgendwie vergessen. Als die 17.000 angereisten Umländer wieder zu ihren fahrbaren Untersätzen strebten, saß er noch da.
Daran dachte ich nicht, als kurz nach 22 Uhr Sofi und Tukker die Bühne betraten und anfingen, eine nicht zu leugnende Anziehungskraft auszustrahlen. Das Bühnenbild suggerierte 90er-Jahre-Euro-Dance-Party mit von Lasern ausgeleuchteten griechisch-römischem Säulen-Gedöns, Klettergerüst und Schaukel. Schon beim zweiten Song, „Best Friend“, der uns in einen albernen Call-and-Response-Teil reinzog („Yo, you wanna meet me at the bar? Ya!“), wurde bis zur letzten Zugabe („Drinkee“ endlich) jeder Zentimeter der Fahrdienstvermittler-Arena zum Tanzen genutzt. Mich mit engagierter Fußwippe eingeschlossen. Trotzdem es keine frau- und mannschaftlichen transzendentale Momente im Set gab, einte das Publikum, in dem ich im Übrigen – nicht wie befürchtet – zu den Ältesten gehörte, ein „Throw some ass free the mind“- Zusammenhalt. Alberne Ausgelassenheit machte sich breit. Stroboskope inklusive, nur die Konfettikanone hat gefehlt. Die unbeschwerte Feier der Freuden des Lebens, alles nicht so ernst zu nehmen – solche Empfindungen hatte ich, dank des unbedingten Willens zur Unterhaltung, zum Exzess und zur Grenzenlosigkeit im Sinne weltlicher Raffinesse der beiden Hauptprotagonisten auf der Bühne, lange nicht. Dass bis auf Gitarre und Gesang alles aus der Konserve kam, hat mich gar nicht wirklich gestört.
Sofie Tukker sind wie die Pet Shop Boys, nur in modern. Zwar ohne die knuffige homoerotische Alte-Männer-Attitüde und ohne den coolen Typen mit Boy-Kappe, der einfach nur hinter einem Tisch mit Knöpfen und Tasten steht. Dafür haben sie mir meinen bisher schönsten Totensonntag kredenzt.
Um 2 hing die Hose kalt am Bett.
Onkel Rosebud