Von Matthias Bosenick (22.09.2024)
Endlich ist „Freaks“ draußen, das neue Album von Fly Cat Fly! Das Braunschweiger Duo feiert die Veröffentlichung, indem es die Platte einmal komplett live spielt und die neuen Songs als Bonus mit einer Auswahl alter Songs garniert. Wer für die Musik der Eheleute das Etikett „Indie-Rock“ hervorholt, fasst die Schublade nicht weit genug, und an dem Abend im Kufa-Haus brettern die beiden dem Publikum so einige weitere Option um die sperrangelweit geöffneten Ohren. Den Starter macht She Phoenix, eine Singer-Songwriterin, die an E-Piano und Akustikgitarre komplex-melodiöse Soul-Songs intoniert. Passt!
Wie altvertraute Freunde kommen einem die neuen Songs von Fly Cat Fly vor, sobald das Duo sie in LP-Cover-Lila-Licht getaucht den Hörenden präsentiert. Live ist es natürlich ein geschickter Zug, das Publikum mit einem fast vierminütigen Ambient-Intro auf das Kommende einzustellen, doch Fly Cat Fly sind so eigensinnig, dass diese Vorgehensweise tatsächlich der des Albums entspricht. Das elfminütige „Killing Time“ lässt die Hörenden auch auf Vinyl und CD erstmal lang zappeln, bis es losgroovt, und das heute, in Zeiten von Streaming-Optimierung und so. Punkrock, diese Vorgehensweise.
Wie immer klickt Gitarrist Cord Bühring das vorab eingespielte Schlagzeug per Pedalbrett dazu, zu dem er und Bassistin Sina Lempke, oft umwerfend kraftvoll im Duett singend, ihre Songs gestalten. Man könnte annehmen, dass vorgefertigte Drumtracks verhindern, dass die beiden dazu improvisieren können, doch Fly Cat Fly strafen diese Annahme Lügen, man kann solche Loops ja einfach was länger laufen und dazu seine Saiteninstrumente nochmal ausufernd losschrammeln lassen. Aber das passiert eher im Zugabenteil, „Freaks“ bleibt bei dieser Erstaufführung strukturell eher unangetastet, energetisch gleichsam aufwühlend.
Für dieses Album nahm sich das Duo zurück, drehte die Heaviness und die Wucht um eins herunter und erzeugte damit eine umso größere Spannung und Erwartung bei den Hörenden, und genau diesen Effekt haben die Songs auch live. Ausdrucksstark geht auch ohne Gewalt, die bleibt zappelnd in der Box, deren Deckel Fly Cat Fly nur so weit öffnen, dass man den Hauch der Kraft erahnt und sie auf sich niedergehen wünscht, aber den Wunsch erfüllen die beiden nicht, sie lassen die Hörenden mit ihrem eigenen Inneren beschäftigt tanzend im Raum zurück, und, das ist die große Kunst daran, keine Sekunde lang enttäuscht – die Nichterfüllung des gewaltigen Ausbruchs ist das Geschenk dieser Musik, sie besteht aus anderen Komponenten, die eine größere Relevanz haben, und das Publikum dieses Duos weiß dieses Geschenk dankbar anzunehmen.
„Freaks“ ist so vielseitig, ja, sicher, Indie-Rock, mit den Drum-Loops und den noisigen Passagen vielleicht an The Jesus And Mary Chain erinnernd, okay. Solche Gedanken kommen bisweilen auf, hey, woran erinnert das, dann greift man kurz nach einem Gedankenstrohhalm, sei es nur der nach einem Genre, Shoegaze, Noiserock, Spacerock, Psychedelic Rock, Art Rock, gewiss, irgendwie alles davon und nichts für sich allein, es ist einfach Fly-Cat-Fly-Musik. „Freaks“ ist voller Hits, voller Ohrwürmer, voller neuer Lieblingslieder, als gäbe es von Fly Cat Fly nicht schon ganz viele dieser Art, und eine Auswahl davon hängt das Duo an den Hauptteil des Konzertes an. Und da lassen die beiden die Bluthunde von der Leine, endlich, ist man dann trotz allem gewillt zu sagen, hier kommt die Erlösung, Uptempo-Songs, Bratzgitarren, unendliches Geschrammel und Gegniedel, begeisterte Zuhörende.
Und Zusehende, Fly Cat Fly sind auf der Bühne eine herzerwärmende Erscheinung, man sieht ihnen die Liebe an, die zwischen ihnen Bande windet, ebenso die zu ihren Songs und der zu ihrem Publikum. Den Humor nicht zu vergessen, untereinander und mit den Gästen. Das Wortspiel des Abends: Als jemand Cord angesichts der großen Gitarrenarmada an seiner Seite Professionalität zubilligt, meint der, dass es noch professioneller aussähe, reichte ihm jemand die Gitarren von hinten an, aber er müsse sich sich ja selbst nehmen. Wissend nickt Hoffi: „Akkordarbeit.“
Zuvor bietet She Phoenix ihre Songs dar, zunächst am E-Piano, später an der Akustikgitarre und im Wechsel auf beidem. Ihre Lieder gestaltet sie mit komplexen Melodien und bietet sie mit einer absolut felsenfesten Stimme dar, die den Anschein macht, über mehr als eine Oktave hinweg ohne den Hauch eines Wackelns zu bestehen. Wie Soul klingt ihr Gesang, mal rauh knarzend, mal kraftvoll und klar. Sie verfasst ihre Songs auf Englisch und ist auch darin komplett trittsicher. Die Musik, die sie dazu behutsam anschlägt, ist minimalistisch, da ist es auch vollkommen egal, dass sie, wie sie sagt, die Akustikgitarre noch nicht so gut beherrscht, es passt einfach zu den Songs, dass ihre Stimme das bestimmende Element ist.
Unter dem Alias She Phoenix ist die Sängerin offenbar noch nicht so lang aktiv, sie erzählt, dass Cord der Mentor ihrer vorherigen Band war, ohne deren Namen zu nennen; aus welcher Asche die auch ansonsten anonyme junge Frau emporstieg, muss man sie schon fragen. Weniger zurückhaltend hingegen ist sie darin, ihre Lieder zu erklären, doch entzaubert sie damit bedauerlicherweise ihre guten Songs. Den positiven Eindruck von ihrer Kunst nimmt man auf jeden Fall mit, und ein perfekter Einklang auf Fly Cat Fly ist She Phoenix allemal.
[Edit 23.09.2024] Mehr Infos zu She Phoenix erhielt ich, als ich sie – wenigstens virtuell – ansprach:
„Die betreffende Band gibt es schon seit über 10 Jahren nicht mehr, sie war damals ein Projekt, das über die Musikschule lief. Sie hieß „The Mutez“ und war Teil meiner bzw. unserer ersten musikalischen Gehversuche.
Meine daraus entstandene Nachfolger-Band ist zwar auch inzwischen Vergangenheit, gibt es jedoch mit einer damals veröffentlichten EP noch im Internet zu finden: „Elophomy“.
Inwischen bin ich seit einigen Jahren als Solokünstlerin unterwegs, erst unter meinem richtigen Namen Anna Bergler (die EP „Running In Circles“ ist bei allen Bekannten Streaminganbietern zu finden) und nun seit wenigen Jahren als She Phoenix.“
Danke!