Von Matthias Bosenick (14.05.2023)
Ihr allererstes Wohnzimmerkonzert überhaupt gab die junge Sängerin und Musikerin Stella Lindner unter ihrem ihrer Geburtsgegend Neuburg in Bayern entnommenen Alias Danube als Gewinn einer Instagram-Losaktion im Wohnzimmer von Maren und Arni in Fallersleben. Acht ausgewählte Gäste verfolgten die Darbietung, die Stella kurzerhand von ihrem mitgebrachten Keyboard aufs vorhandene Klavier verlegte, wenn sie nicht die Akustikgitarre bediente. In komplexen Melodien sang sie – nun, nicht nur von Flüssen, auch von Liebeskummer und Selfcare, und das Publikum lauschte ergriffen ihrer emotionalen Darbietung. Jedes Mal Stille, bis der letzte Ton auch wirklich verklang. Und kein Hauch von Fremdsein.
Wohnzimmer, das ist Zuhause, und wie zu Hause trat Stella auch auf, zog die Schuhe aus und setzte sich in gemütlicher Schlabberkleidung auf den Pianoschemel. Als wäre das schon immer so, dass sie zur Tür hereinspaziert, eine Kanne Tee kredenzt bekommt und dann mit und für die Familie einige Lieder performt. Weil es so viel wärmer klingt als ihr Keyboard, schwenkte Stella erfreut auf das bereitgestellte Klavier um, zauberte warme Klänge hervor, spielte Stücke, die an Beethoven erinnerten; dessen „Mondscheinsonate“ schien häufig in Stellas Kompositionen einzufließen. Spielte sie auf der Akustikgitarre, bedauerte sie, dass sie lediglich drei Akkorde beherrsche, was das Publikum dreistimmig quittierte mit „Die Beatles haben auch so angefangen“, „Die Ramones hörten so auf“ und „AC/DC machen so weiter“.
So einfach nun also Stellas Musik gehalten sein mag, so wenig einfach sind ihre Gesangsmelodien. Das ist das Pfund, mit dem sie wuchert, indem sie sich nicht an aktuelle Radiomusik anpasst, in der rudimentäre Melodiefragmente immer und immer wieder abgespult und als Strophe und Refrain verkauft werden, sondern Melodien kreiert, die, wie seinerzeit in den Achtzigern im Pop noch üblich, in unerwartete Richtungen verlaufen, Haken schlagen, in sinuskurvenartigen „Uh“-Passagen aufgehen, das spontane Mitsingen einfach mal komplett unmöglich machen und bei den Zuhörenden dafür umso mehr Konzentration eben aufs Zuhören abverlangen. Das tatsächlich einfachste Lied, das sie darbot, war die einzige Coverversion des Abends: „Flowers“ von Miley Cyrus’ neuestem Album „Endless Summer Vacation“, das sie auswählte, weil es als Youtube-Ergebnis der Suche nach „einfachen Liedern für Gitarre mit drei Akkorden“ erschien, so Stella. Die verlieh dem Stück eine Generalüberholung, verzichtete zwangsweise auf Beats und Kleister und rückte den Inhalt und die Emotionen näher an die Aufmerksamkeit.
Damit sie es nicht ganz umsonst mit sich geschleppt haben sollte, bot Stella auch einen Song auf dem Keyboard dar, mit eingefügten Streichern. Dennoch lag ihr das Klavier mehr am Herzen, und weil es dem Publikum ähnlich ging, gab Stella, die die Lücke zwischen den Stücken immer mit Anekdoten garnierte, einige Zugaben. Und forderte das Publikum zuletzt zum Jam auf, was Arni gern annahm und ebenjenes „Flowers“ gemeinsam mit Stella auf der Akustischen darbot. So ganz genrefremd wie angenommen ist eine Miley Cyrus in diesem vermeintlichen Metal-Haushalt ja nicht, schließlich arbeitete sie mehrfach mit den Flaming Lips zusammen. Abschließend revanchierte sich Arni für Stellas Musik, indem er sein einziges, bereits in den Achtzigern selbst komponiertes Stück darbot. Davon darf er auch gern mehr aus dem Hut zaubern, der alte Progger!
Der Abend klang aus mit noch mehr Tee auf Stellas Seite und anderen Getränken im Publikum, Gesprächen und Geschichten, zum Beispiel, dass sie nur wenige Stunden zuvor in Hannover erstmals auf der Straße musiziert hatte, dass sie ihr erstes Lied 2007 mit 17 komponiert hatte, von Tonträgerangeboten auf ihrer Webseite und in ihrem Jutebeutel, davon, dass sie sich den Dialekt bedauerlicherweise als Kind abtrainert hatte, davon, dass sie einiges Feedback dieses Abends bei der Auswahl ihrer nächsten Veröffentlichungen berücksichtigen würde, und dass sie sich „2001: Odyssee im Weltraum“ angucken wolle, weil einige aus den Zuschauerreihen das Wort „Danube“ daher bereits kannten, Johann Strauss II. sei Dank. Wie es sich um ein familiäres Wohnzimmerkonzert gehörte, umarmten sich alle zum Abschied, entließen die Sängerin in die Nacht und blieben noch etwas beisammen, es war ja gerade so schön.