Von Matthias Bosenick (13.08.2020)
Wenn Laut und Schrill zusammenkommen, wird es paradoxerweise chillig: Barnim Schultze feiert unter seinem Alias Akasha Project die Perseiden, also das größte Sternschnuppenaufkommen des Erdenjahres, mit seiner kosmischen, spacigen Ambientmusik, live von abends um halb zehn bis morgens um zwei. Wie zuletzt üblich bedient er dabei die Kosmische Oktave nach Hans Cousto, was man als Uneingeweihter zwar nicht wahrnimmt, der Künstler im Vortrag jedoch erläutert und in seiner Kunst in Licht und Ton unterbringt. Das Ambiente für seinen Ambient ist perfekt, ein schöneres Konzerterlebnis kann man sich kaum ausmalen, und Wolken, was soll’s, unter den Bäumen kann man eh nicht auf den Himmel gucken, die Augeninnenlider tragen ebenfalls Sterne, alles andere ist schnuppe.
Eigens für den Lichtparcours richteten die Lokalitäten Laut und Schrill das Areal „Savoir Vivre“ auf dem Gelände der Musikschule ein, das aussieht wie ein auf romantische Weise veralteter oder sympathisch amateurhaft zusammengenagelter Jahrmarkt. Hinter dem Bretterverschlag kommt man aus dem Staunen nicht heraus: Eine Zeltbühne am zentralen Rande, umringt von Sitzinseln, die alle unterschiedlich bestückt sind, von Küchentischensembles über Liegestühle und an Ästen angebrachten Schaukeln bis zu vierkantigen Sitzinseln. Überall glimmen Lampen, an Zäunen wie in Bäumen. Jene sind links von der Bühne zusätzlich mit kräftigen Strahlern bestückt und mit Objekten behängt, die im Winde schaukeln, als betrachte man von unten gigantische Quallen im Wasser. Auch erblickt man von dort aus die „Bar du Bois“, das eigentliche Exponat des Lichtparcours‘ an dieser Adresse. Ist das alles schön!
Man bettet sich in die Strandliege, die Dunkelheit setzt ein, die Beleuchtung sorgt für eine Art permanentes angenehm trübes Dämmerlicht auf dem Areal, und Schultze erklärt, was es mit dem Ereignis auf sich hat. Nur so viel: Die Perseiden sind ein Meteorstrom, der jedes Jahr um diese Zeit die meisten seiner kosmischen Felsen in die Atmosphäre der Erde wirft und so Sternschnuppen entstehen lässt. Das – und das ist wohl das größte Wunder der Veranstaltung – veranlasste das an lokaler Subkultur ansonsten eher desinteressierte Kulturinstitut der Stadt im vergangenen Jahr dazu, mit dem Akasha Project diese Show auszuarbeiten, selbstredend nicht ahnend, dass sie Coronas wegen umstrukturiert werden musste, und sich dadurch sogar zu etwas viel Schönerem wandelte, als es vorgesehen war. Und die Kosmische Oktave rechnet natürliche Bewegungs- und Drehfrequenzen um, von Atomen bis Planeten, und zwar in Töne, Takte und Farben, weshalb die Bäume auch den an Drehungen von Erde, Mond und ausgewählten Planeten angepassten Tracks entsprechend farblich illuminiert werden sollten. Zudem trage eine nach Cousto ausgearbeitete Musik auch noch therapeutische Fähigkeiten, so Schultze.
Ein lauer Wind nimmt die Hitze des Tages mit sich, die Bäume rauschen, und da der Himmel bewölkt ist, stört es auch nicht, dass man unter diesen Bäumen ohnehin keine Sternschnuppen ausgemacht hätte. Die Musik funktioniert auch für sich. Weich ist sie, zuvorderst, kein Sound ist harsch, kein Beat ist hart, kein Wechsel zu abrupt. Die tanzbaren Ausflüge an seine eigenen Anfänge mit Goa und Psy-Trance, die Schultze mit der jüngsten Veröffentlichung „Einsteigen, bitte …“ noch feiert, entfallen in diesem von lärmempfindlichen Anwohnern umringten Kontext. Und das ist auch gut so: Wie der warme Wind umwehen auch die Sounds den Hörer. Die Quallen schaukeln über einem, man sieht den in Weiß gekleideten Schultze an seinen Apparaturen basteln und, sobald er ihnen ganz selten auch mal Rhythmen entlockt, dazu animierend zappeln. Seine dem Thema angepassten akustischen Planetenumsetzungen erinnern an die Berliner Schule, an klassischen elektronischen Ambient, allerhöchstens an frühen Synthpop, nur ohne Discoeffekte, und sind watteweich, partiell melodiös, höchst atmosphärisch, Klangräume errichtend, kosmisch, spacig.
Unweigerlich driftet man mit den Sounds ins All, lässt sich in die Liege sinken, lässt die Nacht kommen, lässt den Wind über die Haut gleiten, beobachtet die Bäume, die Quallen, den Musiker, die Lichter, und wenn man die Augen schließt, kann es sich ergeben, dass das Bewusstsein auf Autopilot schaltet, sich gar ausschaltet, man die Sterne sieht, auch ohne dass sie strahlen, man sich wohlig gebettet fühlt und Zeit und Raum komplett ignoriert. Gelegentlich wird man aus diesem Zustand gerissen, wenn ein motorisierter Idiot auf der Straße röhrt, wenn ein Rettungswagen vorbeirast, wenn die juvenilen Sitznachbarn sich lieber lautstark quatschend um sich selbst drehen als mit der Musik um die Sterne, aber dann versucht man eben, die Umgebungsgeräusche in die Musik zu integrieren und sie zum Teil des Programms werden zu lassen.
Auch ohne den Coronamodus und die Ausnahmesituation, als einer von wenigen überhaupt ein Konzert spielen zu dürfen, ist dieser Auftritt vom Akasha Project eine Besonderheit. Das wird nachhaltig im Gedächtnis bleiben, auch wenn man es aus beruflichen Gründen nicht schafft, bis zum Schluss dabeizusein oder überhaupt eine Sternschnuppe zu sehen. Wünsche kann man ja trotzdem äußern, zum Beispiel den nach der Doppel-12“-Version von „Einsteigen, bitte …“. Ansonsten bleiben nach diesem Auftritt eigentlich kaum noch Wünsche offen.