Von Matthias
Bosenick (07.10.2019)
Das war also der Einstand des neuen
Braunschweiger Veranstaltungsortes WestAnd als Konzerthalle, und
vermutlich lösten nicht wenige auch genau deshalb ein Ticket für
die partiell belächelte Crossovercombo Clawfinger, die seit einem
Dutzend Jahren keine neue Platte veröffentlichte, in den Neunzigern
aber diverse Indieclubhits geliefert hatte. Bands dieser mittleren
Größenordnung waren seit ungefähr derselben Zeit nicht mehr in der
Stadt, weil es keine Venues für sie gab, und also kamen an diesem
Braunschweiger Abend diverse Interessen zusammen. Und, Überraschung:
Keines wurde enttäuscht. Das WestAnd funktionierte wie geschmiert
und die Band machte mit ihrem „Rapmetal“ zwar erwiesenermaßen
keine Qualitätsmusik, aber dafür eine grandiose Party.
Fünf Typen auf der Bühne, ausverkaufte Halle, und zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl, es seien 25 Jahre ins Land gezogen, in welches auch immer. Clawfinger knallen der Masse die Hits und ein paar Filler um die Ohren, und die Masse hüpft und crowdsurft wie 1993. Plötzlich fällt den Gästen auch wieder ein, dass die Skandinavier damals ja doch noch mehr wiedererkennbare Nummern in der Musikfernsehrotation hatten als nur „Nigger“ und „The Truth“. Das abschließende „Do What I Say“ etwa begleitet als Trällerhymne noch lang die Leute beim Rausgehen. Und ach ja, da gab es ja noch „Biggest & The Best“, „Warfair“, „Nothing Going On“, „Recipe For Hate“, „Two Sides“, und das Meiste davon von weit nach dem Debütalbum „Deaf Dumb Blind“. Guck an, da verschätzten sich wohl einige in der Rückschau und der geringen Relevanz, die man dem Oeuvre Clawfingers allgemein beimisst.
So richtig bedeutsam waren sie musikhistorisch indes doch wieder nicht. Auch das Konzert offenbart mit einigen mittelmäßigen Stücken, dass Clawfinger kein Repertoire haben, das ausschließlich aus wiedererkennbaren Crossoverkrachern besteht, und immer dann, wenn die Musik etwas beliebiger wird, beginnen die Leute mit dem Crowdsurfing. Nicht schlimm also. Den Auftakt zu dieser Aktion macht Sänger Zak Tell gleich mal selbst, als er sich im besten Song der Band, „Catch Me“, thematisch passend vornüberbeugt und vom Publikum fangen lässt. Don‘t try this at home.
Klar, dass dann von ihm Scherze darüber folgen, wie viele Leute seinen Penis berührten, und die bierselige Menge lacht auch artig. Dabei ist Humor eines der wichtigsten Elemente des Abends, trotz schwerer Themen, die die Band in ihren Songs gern unterbringt. Keyboarder Jocke Skog liefert sich mit Zak Tell unterhaltsame Wortgefechte, und Tell selbst offenbart eine sympathische Selbstironie. Als er als Zugabe den exakt an diesem Tag auf Spotify veröffentlichten neuen Song „Tear You Down“ ankündigt, fragt er das Publikum, ob es den hören wolle oder doch lieber den alten Scheiß bevorzuge, um dann gegenzuargumentieren, dass dieser neue Song in 25 Jahren ja auch alt wäre. Je nun, die Band spielt ihn und bestätigt, dass sie der Welt musikalisch nicht wirklich etwas Neues hinzuzufügen hat. „Nigger“ war halt der größte Hit, auf den alle warten, und Tell bekräftigt dabei überdies, dass es sich um einen „anti-racist song“ handele, „just to make sure“. So viel zur inhaltlichen Schwere, als Beispiel, und mit solchen Themen landet man bei einem eher linksorientierten Publikum natürlich recht leicht.
Die Mucke selbst ist amtlich, hält Raum für humorige Spielereien und Soli parat und bringt den Saal zum Kochen. Bassist André Skaug ist als Gimli-Lookalike der Hingucker schlechthin und läuft dem Gitarristen Bård Torstensen den Rang als Frontsauinstrumentalist ab. Schlagzeuger Micke Dahlén beweist, dass er mehr auf dem Kasten hat, als schnöde das Repertoire seiner Vorgänger bei Clawfinger nachzuspielen. Heavy, verspielt, groovend, auf die Fresse – Clawfinger und Publikum feiern ihre ewige Jugend.
Das Vorprogramm bestritt die noch junge Band Freezes Deyna aus Solothurn in der Schweiz mit einem Crossover, der sich nahtlos in das einfügte, was man seit rund 25 Jahren aus dieser musikalischen Ecke schon hinreichend kennt. Amtlich befeiert wurden die Jungs trotzdem, und das auch zu Recht.
Auch das WestAnd macht einen guten Eindruck. Abgesehen von den schnieken Toiletten hat man nicht das Gefühl, in ein brandneues seelenloses Gebäude zu kommen: Es wirkt nicht wie geleckt, sondern ist farblich angemessen gestaltet (schwarz) und versteckt nicht die Leitungsröhren an der Decke, wie man sie aus umfunktionierten Industriehallen von früher auch genau so kennt. Sieht benutzt aus. Die Bühne ist nicht fest installiert, birgt also Möglichkeiten für alle denkbaren Veranstaltungen. Zwei Theken stehen bereit, die zweite im Obergeschoss an der Empore, gleich neben der Garderobe; am Ausschanktempo lässt sich sicherlich noch feilen, ansonsten überzeugt, dass die untere Theke beim Anstehen den Blick auf die Bühne ermöglicht, wenn es auch der Sound dorthin nicht mehr ganz glasklar schafft.
Unangenehm fiel höchstens auf, dass der Sicherheitsdienst zwar freundlich, aber störend seine Arbeit verrichtete: Kaum nach dem letzten Akkord spannten Mitarbeiter ein Flatterband vor der Bühne auf und trieben die Leute behutsam, aber nachdrücklich aus dem Saal, obwohl die sympathische Band noch für Autogramme und Selfies posierte. Sicher, nach dem Gig ist im WestAnd am Publikum kein Geld mehr zu verdienen und die eingekauften Mitarbeiter wollen auch irgendwann nach Hause, aber da eben nichts mehr stattfindet, kann man die Anwesenden, insbesondere bei strömendem Regen, sich auch entspannt verabschieden lassen. Auch die Ermahnung, sich auf der Empore doch bitte nicht mit Getränk zu weit über die Brüstung zu beugen, weil man den Plastikbecher ja auf die Häupter der Untenstehenden verlieren könnte, sobald man womöglich angestoßen würde, ist zwar nachvollziehbar, aber weder Rock’n’Roll noch die Eigenverantwortlichkeit der Gäste berücksichtigend, die schon seit Jahrzehnten unfallfrei Konzerte besuchen.
Das anonyme Konzept des WestAnd, so gut wie keine eigenen Mitarbeiter und somit auch keine eigene Gastronomie vorzuhalten, begünstigt den Betrieb des im selben Gebäude untergebrachten soziokulturellen Kufa-Hauses, denn dort verstand man es, nach dem Gig die Leute in der Cafeteria zu empfangen und sogar mit einem DJ-Set zu unterhalten. Überdies ist es ein gigantisches Versäumnis von Kufa und WestAnd, die Existenz und Struktur dieses Konstruktes im früheren Fire-Abend breitenwirksam publik zu machen; die Braunschweiger sind schlichtweg nicht umfassend aufgeklärt. Als das vergleichbare Kulturzentrum Hallenbad in Wolfsburg eröffnete, informierte nicht nur Plakatwerbung die Bürger genau darüber. In Braunschweig hingegen scheint man die Relevanz dieser Einrichtung zu unter- oder seine eigene Öffentlichkeitswirksamkeit zu überschätzen. Zudem verwirrt die Zweifachbenennung desselben Gebäudes immens, ein einheitlicher Name wäre sinnvoller gewesen und hätte mehr Identifikationspotential. Egal, wer davon weiß, freue sich über die Existenz von Kufa-Haus und Westand und hoffe darauf, dass dort zahlreiche Ereignisse nach eigenem Gusto angeboten werden, und falls nicht, sorge selbst dafür, dass dies geschehe. Willkommen zurück auf internationalen Tourplänen, Braunschweig!