Von Matthias Bosenick (17.06.2018)
Eine der schönsten Veranstaltungsreihen in Braunschweig ist das im jährlichen Wechsel mit Hannover ausgetragene Festival Theaterformen, insbesondere das musikalische Rahmenprogramm, das live und kostenlos am Rande des Theaterparks stattfindet. Die Atmosphäre ist heimelig, die Lage am Hang des Walls ist idyllisch, alles ist erleuchtet, man trifft sich ungezwungen mit Freunden und Fremden – da macht es auch nichts, wenn einem die Musik mal nicht so zusagt. Schrottgrenze machen widerstandslosen Rockpop für Teenager, haben aber wenigstens etwas zu sagen.
So ein Freitagabend, ein Wochenende mithin, ist kaum besser einzuläuten als mit einem reservierten Essen beim Troja, auf der anderen Seite der Straße, zwischen Botanischem Garten und Univiertel. „Leider nur noch draußen“ war schon einen Tag vorher ein Tisch zu kriegen; von leider keine Spur, der Sommeransatz drang noch einmal durch die Wolken, gerade draußen schmeckten Wolters und Speisen, Mokka und Raki besonders gut. So lassen sich Stunden verbringen und die Zeit zwischen dem letzten Feierabend der Woche und dem Beginn des Konzertes schräg gegenüber genussvoll überbrücken.
Und am Gartenhaus Haeckel sieht es wieder so aus wie immer: Lampions in den Bäumen, flankiert von roten und weißen Wimpeln, Bierbude auf dem Wall, Gastrobuden vor der Bühne, und in Anlehnung an den Lichtparcours, der das Festival vor zwei Jahren begleitete, ist das dem Platz den Namen gebende Gartenhaus wieder mit bunten Farben beleuchtet. Eine einladende Szenerie, parbleu!
Mit Wolters im Becher das alte Gebäude umrunden und gucken, wie es dieses Mal hintenrum aussieht. Wie vorn, Wimpel und Lampen, dazu Bänke und Tische, alles unter von farbwechselnden LED-Spots beleuchteten Bäumen und im toten Winkel des lebendigen Festivals. Geräusche sind zu hören, die an eine andere Veranstaltung erinnern: Es klingt nach Stadion. Stimmt, Fußball-Weltmeisterschaft der Männer, Portugal und Spanien messen sich; es ist eine Handvoll Menschen hinterm Haus zu sehen, die auf das Haus starren, aber nichts, auf das sie starren könnten, also keine Projektion, nur die weiße Wand. Was mag da vorgehen! Man selbst, um die Szenerie besser zu überblicken, und dabei ist zu erkennen, dass ein Flatscreen-Fernseher von innen an einem Fenster des Gartenhauses steht, auf den die Leute nun gebannt starren. Gebannt und ertappt grinsend, gleichsam zum Dazusetzen einladend. Man dankt, verfolgt kurz einen ansehnlich verwandelten Freistoß von Cristiano Ronaldo und zieht weiter.
Der Eingang vom vergangenen Mal ist verschlossen, der eigentliche Haupteingang auf der anderen Seite des Gartenhauses nicht. Dort sitzen indes lauter Theaterleute und es heißt, eine geschlossene Veranstaltung finde im Innern statt, der Blick auf den ersten Raum sei dennoch gewährt. Danke, das war nicht zu erwarten, auch außerhalb des Lichtparcours‘ noch einmal diesen Vorzug auskosten zu dürfen. Wunderschönes Gartenhaus.
Inzwischen hat längst die Band begonnen. Ach ja, die gibt‘s ja auch noch. Und Stühle am Wall, unter den Bäumen, leicht erhöht zwischen den Buden einen kleinen Blick auf die Bühne ermöglichend, im Sichtfeld der Passanten, von denen sich Vertraute und Neugierige zu einem gesellen. Die Musik, ja, die tritt sehr in den Hintergrund.
Schrottgrenze, für Unbedarfte klingt der Name nach einer Form von Elektropunk, wie ihn Bands wie Frittenbude oder Egotronic machen, doch trifft das nicht einmal ansatzweise zu. Die Peiner Ex-Braunschweiger machen stromlinienförmigen Rockpop, aalglatt und frei von dem Eindruck, die beiden Gitarren, die sie verwenden, hätten eine andere Wirkung zu erzielen, als es ein Keyboard auch getan hätte. Die Songs sind nur am Titel zu unterscheiden, musikalisch ist die Band absolut unmutig. Die Lieder haben keine erkennbare Struktur, die Instrumente bekommen keinen Freiraum, Melodien finden nicht statt. Teenager in der Findungsphase dürften wenigstens Freude finden an diesem Powerpunk ohne Härte. Stört die Hausfrau nicht beim Bügeln, wie Krüger es in anderem Kontext einmal ausdrückte, und den Gast nicht beim Chillen. Mit seinen Ansagen zum Thema Homosexualität predigt Sänger Alex Tsitsigias im Theaterpark sicherlich vor Konvertierten, aber wenigstens hat er eine Haltung, und es ist schön, wenn er damit irgendwo auch Andersdenkende erreicht. Seine Dudelmusik mag dafür ein probates Mittelchen sein, hier wirkt sie zumindest beim Pit energiebefeuernd. Unter den Bäumen haben andere Aspekte des Abends mehr Relevanz. Da ist es nicht einmal bedeutungsvoll, dass das Konzert schon seit Ewigkeiten vorbei ist. Danke dafür, und auf ein Wiedersehen in zwei Jahren, sofern man nicht geneigt ist, nächstes Jahr den Weg nach Hannover anzutreten.