Von Matthias Bosenick (06.05.2018)
„I still have last night in my body“, ließen Gusgus die Meute im bestens angefüllten Uebel & Gefährlich wissen, und diese Zeile aus dem Hit „David“ trägt man wie zur Bestätigung noch Tage später mit sich herum. Das war aber auch erfüllend, was das zum Duo geschrumpfte Deephouse-Projekt aus Island da mit seinen analogen Synthies und dem souligen Gesang erzeugte. Da ging beides: entspannt tanzen wie aufmerksam zuhören, im besten Falle gleichzeitig.
Ein Knöpfchendreher, ein Sänger: Nicht nur die Besetzung lässt an Synthiepopduos aus den Achtzigern erinnern, ebenso das Equipment, das bei Gusgus nämlich aus analogen Geräuscherzeugern besteht, und die weiß das einzig kontinuierlich aktive Gründungsmitglied von 1995, Biggi Veira, bewusstseinserweiternd einzusetzen. Seine Synthies erzeugen Knarzgeräusche, mit denen er sämtliche Aufmerksamkeit fokussiert, die sich in die Gehirnmitte setzen und um die herum sich der Rest gruppiert. Das sind teilweise mit Hall unterlegte Percussiongimmicks, latente Melodien, tiefe Beats und natürlich der lieblich-nachdrückliche Gesang von Daníel Ágúst, der mit Unterbrechungen seit der Gründung bei Gusgus mitmacht.
Dieses Knarzen ist seit der Umformierung der Gruppe im Jahre 2002 deutlicher in den Sound gerückt als davor, als noch ein bis zu zwölfköpfiges Kollektiv die mit gebrochenen Beats unterlegte Tanzmusik mit gedrosseltem Tempo spielte. Das reduzierte Tempo ist geblieben, nur sind die Beats satter und direkter. Im Kontrast zur souligen Stimme hebt sich die Musik von Gusgus damit doppelt vom Electro-Techno-Rest ab, denn immer wieder verlangt das außergewöhnliche analoge Knarzen alle Aufmerksamkeit. Und Veira nimmt sich den Raum, inmitten der vertrauten Songs und Tracks zu Solos anzuheben und aus den Maschinen Effekte herauszuholen, die sich tief ins Bewusstsein fressen.
Das kickt. Wie bei einer indischen Gewürzmischung ist man dazu herausgefordert, die einzelnen Zutaten im Kopf herauszuschmecken. Oder sich schlichtweg auf den kompletten Genuss einzulassen. Und so verlagert man seine Aufmerksamkeit vom hedonistischen Tanzvergnügen zur analytischen Sezierung des Genussmittels. Und beides kickt. Und dann diese Stimme!
Die Setlist besteht ausschließlich aus Songs nach 2002, und in den homogenisierten Sound fügen sich auch die etwas minimalistischeren Stücke des jüngsten Albums „Lies Are More Flexible“ bestens ein. Trotz teilweise epischer Songlängen haben Gusgus das Händchen für Ohrwürmer, und von denen kredenzt das Duo einige, ab der Hälfte des Gigs dann auch die heimlichen Hits: „Crossfade“, „Over“, sogar „Selfoss“ und natürlich das eigentlich eher an tumbe Großraumdiscos erinnernde „David“, das in diesem anspruchsvollen Soundkontext aber grandios funktioniert.
Kurz davor verliert sich Veira indes etwas in seinen Drehereien. Der Song bleibt in seinen Improvisationen auf der Strecke, die Ausschweifungen strengen etwas an, aber mit „David“ fängt sich das Duo wieder. Jener Hit offenbart zudem den Verlust der Sängerinnen, deren Stimmen hier zwangsweise vom Band kommen. Mehr gibt es an dem Gig nicht auszusetzen, wenn man dieses Wort dafür überhaupt bemühen mag.
Interessant ist die Zusammensetzung des Publikums im Hochbunker Uebel & Gefährlich. Die Jugend treibt sich woanders herum, hier sind die Leute gereifter und überraschend bunt zusammengewürfelt. Und haben Bock auf die Mucke, ebenso wie auf die Party, die mit ihr einhergeht, und die ist ob des zumeist bedeckter gehaltenen Tempos entspannt. Es ist angenehm, sich unter den Hunderten Tanzenden zu befinden. Und überraschend zudem, dass es überhaupt so viele sind: In der heimischen Provinz kennt man diese Band nicht.
Ein Vorprogramm gab es auch, das Trio Ayia aus Reykjavík. Möglicherweise lag es am Sound, vielleicht an der Raumgröße, aber der mit gemilderten Soundspielereien von Aphex Twin unterlegte Trip Hop erreichte das Publikum kaum. In einem kleinen Club oder vor dem heimischen Kamin mag die Musik sogar funktionieren, hier hinterließ sie keinen Eindruck. Dafür waren die Sounds zu gleichförmig, monoton und reduziert und die Stimme der Sängerin zu kindhaft-quäkig. Nichts Eigenständiges, nichts Mitreißendes, jedenfalls nicht im großen Konzertsaal.
Anders Gusgus. Noch Tage später skandiert man im Herzen „David“, obwohl man den Song wegen seiner simplifizierten Chartstauglichkeit eigentlich nicht so richtig mögen wollte. Egal. An der Stelle des Konzertes zündete er wie Brandbeschleuniger im Hochofen. I still have last nicht in my body.