Von Matthias Bosenick (18.06.2016) / Auch veröffentlicht auf Kult-Tour Der Stadtblog
Wenn jemand durch eine Fernsehwerbung zum Star wird, hat er bei mir Schwierigkeiten, dass ich ihn nicht mit Leuten wie Verona Pooht in einen Topf werfe und ignoriere. Wenn derjenige aber in diesem TV-Spot mit einer salbungsvollen Stimme von sich Reden macht, die Musikpostille sein nachgeschobenes Album „Bad Gastein“ lobhudelt und dieser Mensch dann auch noch an einem Freitagabend beim Festival Theaterformen auftritt, so hat er zumindest meine skeptische Aufmerksamkeit. Friedrich Liechtenstein nun nutzt diese und schlägt vom ersten Kontakt an bei mir ein wie eine Bombe: Der Mann ist phänomenal, fast bin ich sogar dazu geneigt, ihn „supergeil“ zu finden, wäre dieses Attribut nicht viel zu offensichtlich. Diesen Edeka-Song indes spart er mit seinem neuen Trio aus. Stattdessen gibt es enorm vielschichtige Ambientgeschichten, Soulchansons und Erwachsenenclubmusiken. Völlig unerwartet und absolut hörenswert. Ich bin hin und weg.
Der etwa siebzigjährige Eisenhüttenstädter steht im weißen Anzug mit quergestreifter Krawatte, struppigem Bart, zauseligem Haupthaar, fetter Sonnenbrille und verschmitztem Lächeln auf der Bühne. Seine Bewegungen sind sparsam, aber eindrucksvoll. Und seine Stimme nimmt mich sofort gefangen. Wenn er nur spricht, höre ich schon gern zu. Seine Sprache ist angenehm, auch in seinen Geschichten und Songs, nicht nur in den Ansagen. Er weiß die Sprache zu verwenden. Dabei bleibt er häufig unkonkret, assoziativ, und doch klar genug, um nicht etwa dadaistisch zu sein. Liechtenstein deutet Erlebnisse und Gefühle an, formuliert sie aber nicht aus und lässt damit jedem Hörer Raum, den er mit eigenen Empfindungen füllen kann. Man fühlt sich von ihm verstanden, nicht obwohl, sondern weil er unverbindlich bleibt.
Gleichzeitig lässt Liechtenstein seinen verschmitzten Humor von der Leine. Sehr oft verknüpft er Begriffe, die zusammen neue Ebenen erschließen und dem überraschten Zuhörer ein spontanes Lachen entlocken. Oder er grenzt sich unerwartet konkret ab: Sein „Shave The Monkeys“ etwa richte sich auch gegen Hipster, sagt er, und diese sind doch eigentlich eine der neuen Zielgruppen, die er mit dem Edeka-Spot überhaupt erst erreichte. Aber Liechtenstein bleibt sich selbst treu und lässt sich in keine Richtung drängen. Dafür ist er viel zu gut.
Mit ihm sitzen ein Pianist und ein Saxophonist/Flötist auf der Bühne. Sparsame Instrumentierung, definitiv. Die Clubbeats kommen aus dem Computer, den der Pianist gelegentlich anwirft. Ansonsten schaffen die beiden Musiker warme Flächen und Begleitsounds für Liechtensteins Worte. Beginnt er wohligwarm zu singen, forcieren die ihn begleitenden Musiker überraschende Assoziationen: Isaac Hayes, Right Said Fred, Yello, Barry White (den Liechtenstein später selbst ins Feld führt). Nicht alle Texte singt er auf Deutsch, aber diejenigen, die er muttersprachlich vorträgt, unterstreichen seine Alleinstellung im deutschsprachigen Bereich. So etwas gibt es einfach nicht noch einmal. Substanziell und gehaltvoll, künstlerisch hochrangig, dabei virtuos und groovend – der Mix ist einmalig. Und weitab von Schlager oder Deutschpop. Gottlob; manche der Soulchansons, als solche will ich sie mal bezeichnen, wären mit Schlagerbeats à la werauchimmer ganz gruselige Angelegenheiten geworden. Doch in der von Liechtenstein vorgetragenen reduzierten Fassung verlieren sie komplett den Kitschanstrich und laden zur Identifikation mit den Inhalten ein. Natürlich geht es bei Liechtenstein hin und wieder auch um Sexualität, doch spricht er eher vom klassischen Thema der Liebe als vom schnöden beliebigen Geschlechtsakt.
Selbst die Clubtracks sind nicht aufgesetzt. Liechtenstein weiß um seine Position, er muss nicht den Youngster mimen, um im Club relevant zu sein. Seine Tunes sind erwachsen, altersgemäß; sie beinhalten eine Adoleszenz, die den hedonistischen Clubbeschallern zumeist abgeht. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie dieser Mann mit Bauchansatz in Berlin-Mitte auf dem Dancefloor steht und dezent mit den Hüften wackelt. Dieses Bisschen reicht schon aus, um auch das Publikum hier im Theaterpark in Euphorie zu versetzen. Aufmerksamkeit durch Sparsamkeit.
Ein überwältigender Auftritt, alle meine Bedenken sind schon nach wenigen Momenten beiseite gewischt. Noch weiter verschwinden sie, als sich Liechtenstein nach dem anderthalbstündigen Auftritt unter die Menge mischt, Schallplatten signiert, mit Bier anstößt und den Menschen seine Arbeiten erläutert. Es ist erstaunlich, wie vielschichtig Liechtensteins Texte mit einigem Hintergrundwissen sind. Den Clubsong „Pan Am“ etwa interpretierte ich als Anti-Drogen-Song: „Pan Am boarding song, steigt nicht ein, sonst bleibt ihr für immer oben.“ Tatsächlich, so Liechtenstein, basiert das Stück auf dem Lockerbie-Attentat von 1988 auf eine Boeing 747 der Fluggesellschaft Pan Am.
Seinen vier überraschten Zuhörern am Rande des Merchandisestandes öffnet er spät in der Nacht sein Nähkästchen sperrangelweit, erzählt von vertikaler Kunst, die er etwa im Fernsehen ausleben darf und auch in seinem musikalischen Werk anwendet, von der Bedeutung des Buchstabens B in seiner Arbeit in Bezug auf den B-Wurf bei Zuchthunden und seinem Clubvergnügen als lebensspäter Nachtschwärmer dank einer frühen Vaterschaft. Der Edeka-Spot sei ein Job gewesen, sagt Liechtenstein, und doch wünsche er sich, in Berlin-Mitte einen eigenen Edeka-Laden zu betreiben. „Was macht ihr, die Kekse müssen höher“, schauspielert er den Geschäftsführer im Gespräch mit den Angestellten. Sein Album „Bad Gastein“, nicht sein erstes, produzierte er bewusst im Windschatten von „Supergeil“, und sein aktuelles Werk mit dem neu formierten Trio gibt es ausschließlich als LP, die Songs live im Studio direkt am Stück auf die Matritze geritzt. Liechtenstein bewegt sich süffisant und souverän mit den Mitteln der Alten Schule im Hier und Jetzt. Kein Anachronismus, nicht aus der Zeit gefallen, sondern vorneweg und vorbildhaft.
Die Vorband verpasste unser kleines Kult-Tour-Team leider: Die Hamburger Gruppe Unhappybirthday hatte bei unserem Eintreffen schon ihr Programm beendet. Dafür streunerten wir einmal mehr durch das als Villa Krahe bezeichnete Haeckelsche Gartenhaus, dem Namensgeber für das Festivalgelände und Bestandteil des Lichtparcours‘, bevor wir uns ganz dem Liechtensteinschen Auftritt hingaben. Da hat mal jemand echt gute Überzeugungsarbeit geleistet, und das aus dem Hüftgelenk. Respekt!