Von Matthias Bosenick (10.04.2016) / Auch veröffentlicht auf Kult-Tour Der Stadtblog
Eine Pogo-Party für die ganze Familie: das ist das B4-Festival, ausgerichtet von Hoax und dem Seitenarm Ramones Experience Tribute Band. Beide Gruppen spielen selbst und haben noch sage und schreibe vier Gastcombos dabei. Der Musikmix ist beachtlich: Punkrock, melodischer Oldschool-Thrash-Metal, Pop- und Rock-Cover-Truppen sowie Tanzparty mit Liveschlagzeug. Eine Mischung, bei der wortwörtlich jeder auf seine Kosten kommt, die allerdings definitiv nicht allen gefällt – dafür ist sie viel zu, nun: mutig. Das Wichtigste ist aber, dass der Bereich vor der Bühne permanent in Bewegung ist und dass sich die Gäste wie bei einem Klassentreffen über alte Zeiten unterhalten. Das geht immer gut, wenn Hoax einladen, und zwar beides, und das bis in den frühen Morgen. Geile Party wieder, auch ohne namhaftes Zugpferd dieses Mal.
Im vergangenen Jahr lockten die UK Subs amtliche 500 Gäste in den Saal des Gasthauses Zur Linde zu Groß Oesingen, und das an einem Dienstag. Ganz so voll ist es dieses Mal zwar nicht, aber auch mit ausschließlich Lokalmatadoren und Newcomern folgen fast 400 Leute dem Ruf der Hoaxies. Und feiern, was das Zeug hält. Und das Zeug hält viel.
Gleich richtig satt in die Vollen startet die Show pünktlich um halb acht mit der Remones Experience Tribute Band. Um so eine taghelle Uhrzeit schon solch ein Feuer unter dem Hintern, die vier fegen die Ankömmlinge gleich mal platt an die Wand und lassen die Daseienden ausgelassen herumzappeln. Ein schöner Auftakt, tight gespielt, manchmal dichter am Original als das Original (Blasphemie! Ja.) und fast ohne Pausen den Gast in einen strudelnden Punkrockmalstrom zerrend. Energie!!!
Die Folgeband schlägt dann aber leider mit dem Airbag in die Menge: Back Beat spielen das NDR2-Radioprogramm nach, das immer ein guter Grund ist, kein Radio zu hören, und daher auch live keinen Hering vom Teller zieht, wenn sich einem bei so einer Songauswahl von Natur aus die Fußnägel umdrehen. Der Vorteil an der heterogenen Zuschauermenge dieser Veranstaltung ist indes, dass die Band nicht weniger Leute im Moshpit hat als ihr Vorgänger, aber eben eher andere. Ganz schlimm aber ist, dass sie allen ernstes das furchtbare „Sexy“ vom ohnehin schon furchtbaren Marius Müller-Westernhagen anstimmen.
Ein idealer Zeitpunkt, erst die Theke und dann den Außenbereich aufzusuchen. An beiden Orten trifft man alte Bekannte, Weggefährten, Freunde und feiert wenn schon nicht die Mucke, dann zumindest einen regen Austausch an Geschichten. Solchen von der Musikscheune Pollhöfen, dem Rock-Café Wittingen, dem Café Flax in Gifhorn. Derweil setzen im Saal die Mopilots an, sich durch das Programm von Radio21 zu covern; damit kehrt ein angemessenes Maß an Heavyness ins Gasthaus Zur Linde zurück. Und ebnet den Lokalhelden von Tempest den Weg. Angekündigt war zwar deren Nachfolgeband Seducer, doch geben sich heute die Schweimker Metal-Heroen höchstselbst die Ehre. Die Songs sind teilweise älter als viele Leute im Publikum, aber auch die feiern jene gebührend ab, während die Altvorderen von der Theke aus beständig nach „Barracuda“ grölen. Ein bisschen NWoBHM erklingt, reichlich Thrash und jede Menge Prog – also eigentlich gar kein ausgewiesenes Partyprogramm, sondern eher etwas zum aufmerksamen Zuhören und matteschüttelnden Mitgehen. Ein gehöriger Brocken auf jeden Fall.
Und dann endlich der Höhepunkt: Hoax sind wieder da, und Hoax haben eine neue EP herausgebracht, „Alte Liebe rostet nicht!“. Nochmal: Hoax haben eine neue EP. Abgesehen von der Best-Of-CD vor ein paar Jahren mit dem Inzwischen-Hit „Mir ist kein Hirn gewachsen“ ist dies die erste neue Musik von Hoax seit 25 Jahren. Rockenfuckenroll! Und Hoax spielen die drei neuen Stücke der EP und integrieren sie vortrefflich in ihr bisheriges Oeuvre. Großartig. Was am Sound der Band dieses Mal auffällt, ist, dass er deutlich metallischer ausfällt als noch im vergangenen Jahr, also mehr so den Exploited-Einschlag hat. Das steht den Songs gut und bringt eine angenehme Variation mit. Und wie da die Party vor der Bühne abgeht! Punks mit Iro, Leute in Kutten, junge Frauen, Männer im Sakko, Kinder, alle feiern den familientauglichsten Pogo. Ausgelassen, aber unfallfrei. Und die Hoaxies ziehen alle Register, die Bühne quillt über vor Gastmusikern, Vincent bölkt sich die Stimme aus dem Hals. Überall grinsende Gesichter, wo die Leute nicht mit Pogen beschäftigt sind (und selbst dabei grinsen sie noch). Riesig.
Weil die Geisterstunde nach dem letzten Hoax-Ton längst geschlagen hat, leert sich der Saal bedenklich. Dabei steht noch Darius Raccoon auf der Agenda. Ein Synthesizerbediener und ein Schlagzeuger (von den Ramonesies) ballern Neunziger-Cheesie-Techno in den Raum. Was für ein Kontrast. Live-Schlagzeug zu Elektro-Musik ist mal geil, aber dafür muss auch die Elektro-Musik geil sein. Aus dem Cheesigen wird aber gottlob schon bald das Amtliche: Darius generiert nicht länger selbst die Tracks, sondern legt als DJ auf, weiterhin druckvoll begleitet vom Drummer. Und schon wird das Programm mitreißend: von Fatboy Slim bis Neunziger-Alternative und modernem Tanzzeug reicht die Palette. Wer hätte das gedacht. Und schon herrscht vor der Bühne wieder ein wildes Treiben, als wäre noch niemand nach Hause gegangen. Dabei ist es schon halb zwei und der Saal immer noch am Kochen.
Sehr geil. Auch ohne die UK Subs. Na, und um ehrlich zu sein, wäre es nicht weniger geil gewesen mit ein, zwei Bands weniger. Trotzdem, es ist immer wieder großartig, wie es Hoax gelingt, im Gasthaus Zur Linde eine Party anzuzetteln, die das Spannungsfeld von Subkultur und Dorffeier schlüssig überbrückt. Hier geht beides gleichzeitig, und das ohne Qualitäts- oder Spaßverlust.