Von Matthias Bosenick (07.12.2015)
Man mag sich kaum vorstellen können, dass es eine ausreichende Betrachterschaft für eine Dokumentation über New Model Army gibt. Doch sagt es der vorliegende Film selbst: Zwar hat die Band aus Bradford in England keine richtigen Hits, aber dafür eine getreue Gefolgschaft, auch in mehr als 30 Jahren. Dann sieht man sich diesen Film an und sich danach darin bestätigt, dass es gut ist, Fan dieser Band zu sein. Die Musiker sind unangepasst, kreativ, musikalisch ausdrucksstark und charakterlich sympathisch. Sie haben keine Allüren und erfüllen keine Rockstarklischees. Gottlob. Dafür trugen ihre Fans in den Achtzigern Holzclogs und entwickelten einen eigenen Tanzstil. Weiß das wer? Und es gibt in diesem Film noch so viel mehr zu entdecken.
„Between Dog And Wolf“ ist sicherlich kein cineastischer Meilenstein der Musikerdokumentation. Dafür hat der Film eben mehr Inhalt, weil die Protagonisten nun mal welchen haben. Und zwar von Anfang an. New Model Army waren politisch, äußerten ihre linke Haltung zur Politik von Margaret Thatcher, zum Bergarbeiterstreik, zu Militäreinsätzen. Auch wenn später Landschaftsbetrachtungen und persönliche Standortbestimmungen in die Texte einflossen, ließen Justin Sullivan und seine Mitmusiker nie von Politik und Gesellschaft als treibenden Themen ab. Anders aber als ihr Partner In Crime Billy Bragg transportierten New Model Army ihre Inhalte besonders am Anfang mit Wut und Aggression; dennoch ließen sie sich nicht im Metal oder Punk verorten, auch nicht im Gothic, obwohl viele Fans aussahen wie Gothic-Punks. „Man kann sie nicht kategorisieren“, heißt es im Film. Zu Recht. Was auch dazu führte, dass nicht nur die unbequemen Inhalte, sondern auch die kompromisslose Musik dafür verantwortlich sind, dass New Model Army keine Chartserfolge einfuhren. Die Band ist eben kompromisslos und dadurch glaubwürdig. Das erklärt auch die Treue der Fans.
Das ist ein Teil der Dokumentation. Natürlich geht es auch um die Geschichte der Band, von den Anfängen an – aber nicht durch alle 30 Jahre. Schwerpunkte liegen auf dem ersten Dutzend und den letzten fünf Jahren, die Zeit dazwischen erfährt allerhöchstens im Bonusmaterial Erwähnung. Das ist gut so, denn Wikipediawissen hätte hier nur den Raum für die Inhalte genommen. Hier kommen alte Bandmitglieder zu Wort und erläutern ihre musikalischen Ideen, ihre Eindrücke vom Bandgefüge und auch ihre Gründe, nicht mehr dabei zu sein. Im Falle des soundmäßig richtungsweisenden Bassisten Stuart Morrow, der seine Anekdoten fröhlich grinsend beisteuert, ist dies besonders aufschlussreich, da er nun wirklich einen Signatursound für die Band erzeugte. Auch Robert Heaton nimmt großen Raum ein, da der frühere Co-Chef der Band aufgrund diverser Tumore den Schlagzeugschemel räumen musste und 2004 verstarb. Interessant ist auch die Rolle von Joolz Denby, der engen Vertrauten Sullivans, Coverdesignerin und stutenbissigen Konkurrentinnenverteiberin. Die Dokumentation schont also nicht ihre Protagonisten, setzt dabei aber nicht auf Klatsch und Tratsch, sondern einmal mehr auf Inhalt und Selbstanalyse.
Und natürlich ist Sänger und Chef Justin Sullivan persönlich von sehr großem Interesse, der als einziger noch von der Urbesetzung übrig ist. Der von Anfang an als hässlich geltende Zahnlückenträger erweist sich als herzensgut und sympathisch. Man lauscht gerne seinen zum Teil auch humorvollen Beobachtungen auf Tour, unter Musikern und im Musikgeschäft. Er findet Drogen idiotisch, mag keine Besäufnisse und schwärmt von der ungewöhnlich tiefen Beziehung zu Joolz. Man möchte ihm ewig zuhören.
Die Lücken in der Biografie steckt man weg. Erst die gegenwärtige Besetzung kommt wieder ausführlich zu Wort tauscht sich aus, man begleitet sie bei Proben und Konzerten und nach dem Schicksalsschlag mit dem abgebrannten Studio 2011. So schafft es Matt Reid, sich in seiner Dokumentation auf die relevanten Inhalte zu konzentrieren und den Film nicht zu überfrachten. Das Tempo ist angemessen, das Bild nicht modern zerhackt. Es sind immer wieder Songs der Band zu hören, zum Teil als Untermalung des Besprochenen, zum Teil als inhaltlicher Warentrennbalken. Ein visuelles Meisterwerk ist so zwar nicht entstanden, aber das fällt bei dem in Summe harmonischen Material auch nichts ins Gewicht.
Der Film hätte noch lange so weitergehen können, wenn da nicht der Blick auf die Vermarktbarkeit und die Vorführbarkeit auf Filmfesten gewesen wäre. So ergänzen eine Stunde Outtakes auf der DVD die anderthalb Stunden Hauptfilm, und man hätte sie sich gut als Teil des Films vorstellen können, denn es handelt sich tatsächlich um erhellende Elemente.
Die DVD wird in einer Steelbox geliefert, der einige Postkarten beiliegen. Ergänzend dazu erschien „Between Wine And Blood Live“, eine Dreifach-CD mit DVD, die einen Auszug des zweieinhalbstündigen Konzertes vom Dezember 2014 zeigt. Die alten Männer werden nicht müde. Gut so.