Von Matthias Bosenick (03.04.2015)
Dieser Artikel ist auch veröffentlicht auf Kult-Tour Braunschweig.
Ambient-Musik hat bisweilen trotz aller Entspannt- und Schönheit etwas vermeintlich Strukturloses, Beliebiges. Uneingeweihten geht es wie manchen beim Hören klassischer Musik: Man fragt sich, warum wann was passiert und wann es endlich mal so richtig losgeht. Der Braunschweiger Barnim Schultze steuert mit seinem Akasha Project auf seine Weise dagegen: Er legt seinen Stücken eine wissenschaftliche Formel zugrunde und kreiert um die sich daraus ergebenden Grundvoraussetzungen eigene Ideen herum. Seine Basis war in der KaufBar die Idee, dass jedem Planeten Frequenzen zugrunde liegen, die er über die „Kosmische Oktave“ in den hörbaren Bereich rechnete und so für jeden Planeten einen Ton und einen Beat ermittelte. Der Rest kam aus seinem Geist und aus seinen technischen Apparaturen. Sein Live-Ambient war daher so abwechslungsreich, dass er die gechillten Hörer zur Aufmerksamkeit zwang. Bestandteil des Zweieinhalbstundenprogramms waren zudem wissenswerte Hintergrundinfos.
Der Live-Gig basierte grob auf Schultzes bislang letztem Album „Solar System“ aus dem Jahr 2012, auf dem er zu sieben Planeten inklusive Erdenmond die Frequenzen errechnete und daraus Musik machte. Das Album erfüllt indes vornehmlich die Vorstellungen von strukturlosem Ambient; es klingt wundervoll, aber kaum greifbar. Offenbar reichte dieser Ansatz Schultze selbst für sein Projekt nicht mehr aus, denn live entwickelte er sich zum Soundderwisch, der Bock darauf hatte, sich zu bewegen. Die Basis für seine ausufernden, bis zu 30 Minuten langen Tracks bildeten nach wie vor die errechneten Planetentöne, doch während seine Musik auf dem Album klingt, als wären die Stücke lange Intros zu etwas Größerem, lieferte er in der KaufBar dieses Größere.
Die Keyboardteppiche bildeten nicht mehr nur den Hauptteil, sondern lediglich einen Leitfaden. Mit sichtbar guter Laune und hoher Konzentration rief Schultze aus seinem scheinbar minimalen Technikpark Sounds und Samples ab, mit denen er eigenwillige, einmalige und immer harmonische Tracks schuf. Gelegentlich streute er Melodiefetzen ein, die nach nahem und fernem Osten klangen, schuf sich wiederholende extrem reduzierte Basstupfer, verschob die Sounds in überraschende neue Regionen, während man ihnen lauschte, und garnierte manche Stücke mit Frauenstimmen, Streichern und sogar einem Akkordeon. Schon auf diese Weise brachte er das Publikum zum unambientmäßigen Mitnicken; dabei beließ er es nicht, Schultze setzte angemessen dezente Rhythmuspatterns in manche Tracks. Beinahe hätte man dazu getanzt.
Während man lauschte, drängten sich fast zwangsweise Analogien auf. Schultzes Synthesizersounds klangen partiell antik, aber nicht antiquiert: Sie erinnerten an die 80er, an Jean Michel Jarre oder Mike Oldfield. Die Strukturen hingegen, besonders die Eingangssequenzen seiner Stücke, ließen Namen wie Tangeriene Dream oder Brian Eno im Geiste erscheinen. Aber Schultze blieb ganz bei sich selbst, der Abend festigte die Konturen seines Akasha Projects. Er lebte seine sprudelnden Ideen, kam im Laufe eines Tracks immer wieder zu bestimmten Themen zurück, variierte die Ausnahmen, tastete, drehte, drückte auf seiner Apparatur herum und groovte dazu gelegentlich selbst. Mit jedem Soundwechsel forderte Schultze neue Aufmerksamkeit ein, gestattete aber auch das grundsätzliche Zur-Ruhe-Kommen.
Zusätzlich zur beeindruckenden und eigenwilligen Musik erhielt das Publikum auch noch haufenweise Infos. Schultze erwies sich dabei als begeisternd ähfreier Vortragender. Ausgang für seine Musik war die Formel (1/a)*2n=f. Dabei bezeichnet a die Rotation eines Planeten; das kann die Dauer einer Sonnenumrundung oder einer Eigendrehung sein, dazu gibt es zahllose weitere mögliche Frequenzen. Der Kehrwert, also Eins geteilt durch diesen Wert, ergibt die Hertzzahl, also die Takte pro Sekunde. Bei Planeten ist das eine Null mit weiteren vielen Nullen nach dem Komma, bis es endlich zu anderen Zahlen kommt – klar, so ein Planet ist vergleichsweise langsam unterwegs. Entsprechend unhörbar sind diese Frequenzen für das menschliche Ohr. Mit solchen Themen befassten sich Forscher wie Pythagoras von Samos, Johannes Kepler und Hans Coustos, mit dem Schultze bereits diverse Male zusammenarbeitete. Aus deren Ideen ergab sich die Erkenntnis, dass man die Planetentöne hörbar machen kann, indem man die Oktavenverdoppelung anwendet, und zwar so oft, bis der vom Menschen wahrnehmbare Frequenzbereich erreicht ist; abgebildet ist dieser Ansatz im Teil 2n=f. Das Ergebnis nennt sich „Kosmische Oktave“. Für das Erdenjahr ergibt sich ein tiefer gestimmtes Cis, das der Menschheit laut Schultze schon ewig bekannt ist, etwa im tibetischen Ton „Om“, und sich außerdem auch in inneren Abläufen im Körper wiederfindet. Schultze deckte enorm spannende Details und Zusammenhänge aus Astronomie, Astrologie, Mythologie und anderen Wissenschaften auf. Sein Ansatz blieb bei aller möglicher Esoterik wissenschaftlich; das machte es sehr angenehm, seinen Ausführungen zu folgen.
Angemessen konzentriert zeigte sich daher auch weitgehend das Publikum in der vollen KaufBar. Nur in Ausnahmen durchbrachen einige Kommentare die konzentrierte Stimmung, in der Regel war es fast ein Wettbewerb, so spät wie möglich nach dem letzten verklungenen Ton überhaupt mit dem Applaus zu beginnen. Der fiel dafür umso stürmischer aus.
Übrigens ist Schultze mit seinem Akasha Project seit 1989 aktiv und weltweit in bestimmten Kreisen, etwa Goa, Psytrance oder eben Ambient, eine feste Größe. Nicht nur die auch in Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ anklingenden Planetentöne setzte Schultze um, Grundlagen für seine Arbeiten waren auch schon Drogen wie MDMA, LSD und THC oder das Wasserstoffatom. Zu den einzelnen Frequenzen der Erde kehrt Schultze immer wieder zurück. Auf die Erde auch: In Braunschweig spielt er am 24. Oktober 2015 in der Martinikirche – ein Traum, so Schultze, an dem er lange arbeitete.