Rosa Vertov – Reflected In – Crunchy Human Children Records 2023

Von Matthias Bosenick (26.05.2023)

Ausschließlich auf Kassette ist die neue EP „Reflected In“ des Warschauer Trios Rosa Vertov (Eigenschreibweise in Minuskeln) in physischer Form zu haben, und das ist schick und lohnt sich auch, die fünf Songs sind wundervoll anzuhören. In seligen Dreampop-Gefilden bewegen sich die drei Musikerinnen, sie singen ätherisch zu introvertiertem Indierock, lassen dabei aber den Weichzeichner weg, schlagen die verstärkten, aber nicht verzerrten Gitarren hart und deutlich an, deutlicher noch als das Schlagzeug, das auch mal behutsam loslegt. Träumerisch und wachrüttelnd in einer EP. Zeitlos und gut!

So sanft und verträumt, also melancholisch, wie die EP beginnt, wundert man sich, wenn das Trio mitten im dritten von fünf Songs plötzlich ausbricht und die ohnehin schon stählerne Gitarre noch nachdrücklicher anschlägt, dem Schlagzeug mehr Raum gibt und den ätherischen Gesang ins Klare drängt. Schneller werden die drei nicht, aber nachdrücklicher, und mit dem ausdrucksstarken Bass und dem fordernden Schlagzeug gegen Ende sogar recht groovig. Da kippt die Gitarre dann auch mal kurz in den Noise, ins Schrammeln, verhallt und macht einer Keyboard-Orgel Platz.

So eine schöne Musik! Dabei eigentlich im Detail gar nicht klassisch schön, und das macht es noch schöner: Man nimmt einen Hang zum Unangepassten wahr, die Freude am Noise, den Unwillen, sich Erwartungen und Regulierungen zu beugen, die Freiheit, zu machen, was in einem steckt, und sich zu bedienen, wo man seine Vorlieben und Einflüsse hat. Sicherlich ist „Reflected In“, sind Rosa Vertov speziell und einzigartig, auch wenn man sich in Details anderweitig reflektiert fühlt. So klingt die hoch gespielte Gitarre im Opener „Fading Out“ nach den ganz frühen U2, so trägt mancher verhalten preschender Indierocksound die Ahnung von den Cranes in sich, erinnern einige Gesangssequenzen an die Cocteau Twins, ist die zerbrechlich wirkende Dunkelheit der von Julee Cruise nahe, trägt der kurze Lärmausbruch die DNA von Sonic Youth. Und doch ist „Reflected In“ in seiner Anordnung eigen.

Rosa Vertov sind, ähnlich wie Alice Cooper, eine Band, keine Einzelperson. Vier Schulfreundinnen gründeten die Band 2015, heute sind noch drei dabei: Kasia Dziąg mit Bass und Orgel, Julia Szostek mit Gitarre und Orgel sowie Zosia Jakubowska am Schlagzeug; Gesang kommt von allen dreien und Olga Gniadzik fehlt hier. Nach dem Song „Rosa Vertov“ von Rosa Yemen, dem Projekt von Lizzy Mercier Descloux aus dem Jahr 1979, klingt die Band übrigens nicht, auch wenn man in der experimentellen Herangehensweise eine Verwandtschaft ausmachen mag. „Reflected In“ ist das erste Lebenszeichen seit dem Album „Day In Day Out“ vor zwei Jahren; davor veröffentlichten Rosa Vertov seit 2015 bereits einige EPs und Alben, die sich sämtlichst lohnen.