Phillip Boa & The Voodooclub – Live im Hallenbad in Wolfsburg am 7. April 2017

Von Matthias Bosenick (08.04.2017) / Auch veröffentlicht auf Kult-Tour Der Stadtblog

Wenn nichts mehr nach Braunschweig kommen kann, kommt Braunschweig eben nach Wolfsburg. Auch gut. Und weil außer Phillip Boa niemand mehr in seiner Größenordnung überhaupt in diese Gegend kommt, guckt man sich den Malteser Dortmunder eben zum drölfzehnten Mal an. Man kriegt ja auch was dafür: Knapp zwei Stunden Hits und Raritäten aus über 30 Jahren Indiemusikertätigkeit mit Hymnen, Slogans, Harmonien und Leidenschaft, vorgetragen von Zappelphillip Fuchtelmann mit weiblicher Begleitung und satten zwei Schlagzeugern. Niemand ist gekommen, seine Idole zu töten!

Zwar betourt der Voodooclub eine aktuelle Best-Of titels „Blank Expression“, aber das steckt nur den groben Rahmen ab, denn anders als mit dieser Vorgabe erwartet fügt Boa eigene Lieblingsstücke ins Set, die nicht zwingend Publikumsfavoriten sind. Derer hat er noch genügend dabei. Gleich das zweite Stück ist „Fine Art In Silver“, das seinerzeit auch die Gruftis mochten, gefolgt von „Annie Flies The Love Bomber“, einem von vielen schrägen Antipopstücken aus den Achtzigern, als Boa mit seinem Voodooclub noch Galopprhythmen ausprobierte und seine sägenden Riffs drumherum baute. „Atlantic Claire“, „I Dedicate My Soul To You“ und „Diana“ folgen später noch.

Aus der jüngeren Vergangenheit lässt er die eher sanften „Til The Day We Are Both Forgotten“ und „Standing Blinded On Rooftops“ los, ansonsten bekommen die Neunziger viel Raum. Seinen einzigen Single-Hit aus jener Dekade, „Love On Sale“, stoppt die Band mittendrin, um in ein Doppeltrommelsolo einzuschwenken, das nach einer eindrucksvollen Weile erst den Weg zurück zum Song findet. Das 33 Jahre alte „Diana“ unterbricht die Band für eine wabernde Version von „Riders On The Storm“, das noch verdrogter klingt als von den Doors, das sie wiederum harsch mit dem „Diana“-Riff abwürgen. Richtig schön ist seit einiger Zeit die live sehr chillige Version von „Deep In Velvet“, das in seiner Mitte nach Ambient-Wave klingt, also nach Postrock. Auch drei Stücke vom neuesten Album „Fresco“, das der limitierten Best-Of beiliegt, fügt Boa in die Playlist ein. Der Idee, Boa würde damit sein eigenes Oeuvre deklassieren, indem er ein neues Album nicht separat veröffentlicht, widerspricht die Info des Merchandiseverkäufers: Der erzählt, dass die Plattenfirma Boa ein paar Tage Studiozeit für zwei Bonustracks zur Best-Of anbot, und Boa kam mit zwölf neuen Stücken zurück. Okay, akzeptiert!

Es braucht eine Weile, bis in Wolfsburg der Funke einigermaßen überspringt. Dabei finden sich im Moshpit erwiesenermaßen Boa-Kenner, die alle Rituale zelebrieren, vom „Take me to“ bei „Rome In The Rain“ bis zum „Now!“ bei „Kill Your Ideals“. Boa ist nicht so publikumsnah wie bei seinem letzten Auftritt im Meier in Braunschweig, als er generös und gutgelaunt den Entertainer gab, der sogar mit seinen Fans quatschte. Mehr als ein „Prost, ihr Motherfucker!“ richtet er an die Wolfsburger kaum. Doch, ein überzeugendes „Danke“ später, und da ist man glücklich.

Das Arrangement der Lieder ist weitgehend discotauglich, die meisten Songs sind tanz- und hüpfbar; mit dieser Eigenschaft knackt Boa die Leute bald. Damit greift er seine technoide Phase aus den Neunzigern auf, nur songdienlicher als damals. Ausgerechnet das nach „Albert Is A Headbanger“ heavyeste Stück „Speed“ vom unterschätzten 2001er-Album „The Red“ beinhaltet als Sample die Empirion-Version von The Prodigys „Firestarter“, also puren Techno. Dabei fällt auf, dass Boa seine Lieder aus Zeit von dann bis vor drei Jahren nicht berücksichtigt; ein Versäumnis, aber diesen Luxus kann sich leisten, wer Dutzende Platten voller Hits hat.

Einzig die Stimme der neuen Sängerin lässt die alte, Pia Lund, vermissen. Deren schrill-naives Kieksen hatte deutlich mehr Charakter und passte besser zu Boas Songs. Besonders deutlich wird das bei „And Then She Kissed Her“, dem Lund-Song schlechthin. Dafür kann die Neue gut auf einem Bierfass trommeln. Doch Lund ist vergessen, als die Band mit den drei größten Hits schlechthin das Set beschließt: „Container Love“ als Abschluss der ersten Zugabe sowie „This Is Michael“ und „Kill Your Ideals“ danach. Dann sind plötzlich gut zwei Stunden um und man hat die Zeit gar nicht vergehen gespürt. Und das Hallenbad ist wie immer seit zehn Jahren ein verlässlich guter Gastgeber.