Petrolio – GLVWXUER#DQVLD#JHQHUDOL]]DWR – HgM Music 2020

Von Matthias Bosenick (19.06.2020)

Oldschool-Industrial, der aus Störgeräuschen und Atmosphären besteht, ohne Gitarren und ohne plakative Samples: Petrolio verstört und zerstört auf seiner neuen EP mit dem programmatisch-sperrigen Titel „GLVWXUER#DQVLD#JHQHUDOL]]DWR“. So ungefähr klingen die vier Stücke auch. Nichts für die Electro-Disco, sondern fürs gepflegte Chillen daheim, wenn man ansonsten auch zu Free Jazz und Black Metal zu chillen in der Lage ist und gerade kein beklemmender Horrorfilm im Stream läuft. Diese EP des Italieners gibt‘s natürlich standesgemäß physisch nur als Tape!

Die Mucke haut zunächst in die Fresse, da kennt Enrico Cerrato aus Asti mal nix. Mit voller Wucht startet das Tape, sägt an Metallobjekten und an den Nerven, und weil das so schön wehtut, bettet er diesen rhythmisch pulsierenden Lärm in ein wohliges Ambientkissen. Der Hintergrund des Openers ist so dunkel-schön, dass die Aggressivität drumherum nicht destruktiv wirkt, sondern erbaulich. Der zweite Track klingt wie der Soundtrack zu einem „Saw“-Film, der noch gedreht werden muss, ohne Blut, aber mit der permanenten Androhung, welches vergießen zu müssen; keine Beats, nur Sounds, etwa von einem defekten Piano, Zirpen, Dröhnen, Knirschen, bestimmen die sechs kreischenden Minuten.

Track drei setzt das zunächst fort, weil der aber satte zehn Minuten zur Verfügung hat, lässt Cerrato alsbald einen schleppenden Beat und verzerrte Soundscapes einfließen. Vorübergehend, denn eine Stimmung aus Noise, verzerrten Samples und Drones, wie er sie arrangiert, funktioniert auch zwischendurch ganz gut ohne Beats. Sobald die wiederum in das Geräuschkonglomerat zurückkehren, kommt sogar mal etwas Tempo auf; ohne die fette Bassdrum zwar nicht tanzflächengeeignet, aber zum energischen Mitnicken, und mit den unbestimmten Stimmsamples einmal mehr spooky. Ein Rausch! Die letzten fünf Minuten gehören einem in einem ruinös verlassenen Haus sporadisch angespielten verstimmten Klavier, das alsbald von kettenrasselnden Wiedergängern heimgesucht wird.

Wenn Cerrato Industrial macht, orientiert er sich an den europäischen Ursprüngen, die aus rhythmisch angeordneten Sounds bestanden, noch ohne die amerikanischen Gitarren oder die postmodernen Filmsamples. Zudem hat er eine Vorliebe für dunklen Ambient und Drones, die er mit den Rhythmen vermengt. Seine Zielgruppe findet er somit weniger im Gruftbereich als in der Neoavantgarde, wenn man so will. Cerrato empfiehlt sich als Experimentator mit Vision.