Helge Schneider – Lass k(n)acken, Helge! – Universal/Polydor 2015

Von Matthias Bosenick (06.09.2015)

Der Ruhestand ist nichts für den respektabelsten humorschaffenden Entertainer im deutschsprachigen Raum: Helge Schneider macht die Scorpions und kommt mit dem Programm „Lass k(n)acken, Oppa!“ nach seinem Abschied doch wieder auf Tour. Um das zu promoten, gibt es einen Konzertmitschnitt fast gleichen Titels von der Abschiedstour im vergangenen Jahr auf DVD, mitgeschnitten in Berlin. Zu sehen sind haufenweise Lieder aus seiner Bühnenanfangszeit und zwei neuere Stücke. Wie gewohnt garniert Schneider seine feinen Jazzstücke mit komödiantischen Einlagen. Die gestalten sich erheblich anders als vor 20 Jahren, als er sich in der deutschsprachigen Humorkiste platzierte. Nicht schlechter, aber eben anders. Der Bonus dieser DVD indes ist beschämend beleidigend.

Ohne die Jazzmusik war ein Liveprogramm von Helge Schneider noch nie vorstellbar. Mit den versiertesten Musikern, die alle zwischendurch ein Solo bekommen und ihre exquisite Fingerfertigkeit zur umjubelten Schau stellen, bringt Schneider hier seine alten Hits dar, viele noch aus seinem ersten Film „Johnny Flash“: Mit Würde performt er die alten Schlagerversuche „Ladiladiho“, „Hunderttausend Rosen“, „Es hat gefunkt bei mir“ und „Der Tanz auf dem Vulkan“. Aus der Hit-Zeit Anfang bis Mitte der 90er bringt er – nun – eben die Hits: „Katzeklo“, „Hast du eine Mutter“, „Der Meisenmann“ und „Es gibt Reis“, streckenweise mit neuen Texten. Die folgenden 15 Jahre spart er aus und spielt dann lediglich die beiden neueren Lieder „Der Schönheitschirurg von Banania“ und „Nachtigall, huh (Es zittert unser Haus, was ist nur draußen los?)“. Hinter dieser trockenen Liste steckt ein gigantisches Potpourri an Jazzstilen. Manche Stücke – wie das entlarvend den Krautrock persiflierende „Nachtigall, huh“ – ufern ins Unendliche aus, dann geht es der großen Band tatsächlich um die Musik, um die transportierten Emotionen, um die Spielfreude, um den musikalischen Exzess. Wer nicht ein kleines bisschen Spaß am Jazz hat, wird sich hier vermutlich verloren fühlen; alle anderen freuen sich mit den Musikern. Besonders der Chef kann was, wie jeder weiß, der ihn kennt; der künstlerische Höhepunkt des Multiinstrumentalisten ist sicherlich, als er ein Trompetensolo gibt und sich dabei am Flügel begleitet. Der humoristische Höhepunkt in diesem Rahmen indes ist das uneingestöpselte Egitarrensolo: formal brillant, aber eben nicht zu hören. Ein Fest.

Auch verbal hat Schneider natürlich einiges an Humor zu bieten; dabei geht er jedoch weniger assoziativ und jazzig vor als vor 20 Jahren. Das ist bedauerlich, weil man eben seine spinnerte Art, Dinge zusammenzubringen, zu lieben gelernt hat; ein Alleinstellungsmerkmal, das andere Humoriker nicht einmal zu kopieren gewagt haben. Gelegentlich blitzt das Absurde durch, wenn er etwa erzählt, dass ein Freund von ihm beruflich Katholisch auf Evangelisch übersetzt. Ansonsten verlegt er sich seit einiger Zeit vermehrt darauf, Witz daraus zu schöpfen, dass er seinen Teekoch Bodo erniedrigt oder dass ein zerzauster Sergej Gleitmann auf der Bühne herumzappelt. Das klingt nach zeitgenössischem Otto Waalkes und ist eines Helge Schneider nicht würdig. Seine Würde offenbart er vielmehr, als er respektlos die kompositorischen Mechanismen in Beethovens „Mondscheinsonate“ offenlegt: So etwas kann nur Schneider, Hochkultur und Kabarett auf diese Weise verknüpfen.

Sicherlich hat man schon Witzigeres von Helge gesehen, aber selten so geballt musikalisch Anspruchsvolles gehört. Insofern hat die DVD in jedem Fall ihre Berechtigung, besonders, weil der Meister gelegentlich Anmerkungen zu seinen kreativen Hintergründen gibt. Zuletzt interviewt er sich selbst in der spanischen Wüste und offenbart dabei ein schauspielerisches Talent, das er sogar in seinen eigenen Filmen versteckt.

Seltsam ist die Angabe auf der DVD, der Film sei 145 Minuten lang; tatsächlich sind es gerade 100. Der einzige Bonus besteht aus einer beigelegten CD, die der Fan definitiv nicht braucht, denn dabei handelt es sich um einen Zusammenschnitt des im vergangenen Jahr erschienenen Doppelalbums „Live At The Grugahalle“, nur ohne die Ansagen. In diesem Zusammenhang ist die Coveraufschrift „Das ungekürzte Meisterwerk: DVD & CD“ eine Frechheit, besonders, weil auch noch irreführenderweise das Covermotiv des genannten Livealbums übernommen wurde.

Abgesehen davon hat man an der DVD seine große Freude. Es zeigt den alten Mann (Schneider wird in diesem Jahr 60) in guter Form und belegt seine Ausnahmerolle in der Entertainmentbranche. Muss man einfach mal so festhalten. Einen wie ihn gibt es nicht zweimal. In jeder Hinsicht.