Goodiepal – Live im Jazzhouse in Kopenhagen am 16. Dezember 2015

Von Matthias Bosenick (22.12.2015)

Unklar ist: Bedient Goodiepal mit seiner „Virtuosen Computer-Lounge“ die Intellektuellen oder führt er sie vor? Spätestens, wenn er das Publikum dazu bringt, mit über die Ohrmuscheln gestülpten Gläsern einem infernalischen White Noise zu lauschen, möchte man an letzteres glauben. Zum anscheinend dritten Mal in Folge gastierte der umstrittene 41-jährige Künstler zum Jahresende im Kopenhagener Jazzhouse. Ohne Erläuterer unter den Gästen fiele es dem Nichtdänischsprechenden schwer, den Überbau des Abends zu erahnen, sowie in der Folge, in diesem Konzert durchgehend überhaupt Musik auszumachen. Das Wichtigste ist indes, dass man dem Querkopf einmal die Hand schüttelte und sich somit seiner Existenz gewiss sein kann.

Vermutlich muss man Goodiepal, der – so behauptet es die Wikipedia-Seite, die er als seine offizielle Webseite verlinkt – 1974 als Parl Kristian Bjørn Vester auf den Faröer-Inseln geboren wurde, als Performance-Künstler begreifen. Dem Rezensenten fiel er 2008 als Remixer für Under Byen auf, die es überhaupt nicht verknusen konnten, dass Goodiepal statt eines Remixes einen eigenen, achtzigerinspirierten Track auf Vinyl presste und die B-Seite mit Kratzern und Stickern unhörbar machte. Bei Route 66, dem offenbar besten Plattenladen Dänemarks, richtete man dem Mann ein eigenes Fach ein und weiß dort haufenweise Geschichten zu kolportieren. Derer so viele, dass man den Eindruck erhalten kann, es mit einem uralten Man mit weißem Rauschebart zu tun zu haben, der die Kunst- und Musikszene Dänemarks skurril und schrill aufmischt.

Pustekuchen: Goodiepal ist erst knapp über 40, trägt eine naturgegebene Mönchstonsur, einen akkurat gestutzten Vollbart, eine viel zu große Brille und sieht aus wie ein Nerd mit Karohemd unter einem langen Kleid, also fast wie ein Derwisch, und so benimmt er sich zuweilen auch. Mit Flötentönen geleitet er die an der Bar im Erdgeschoss des Jazzhouse wartenden Gäste über die Hintertreppe ins Untergeschoss zum Auftrittsort. Es geht an unsortierten Abstellkammern, vollgerümpelten Toiletten und schlecht verputzten Wänden entlang. Ein schöner Auftakt.

Unten lauern zwei Percussionisten und Schlagzeuger an ihren Instrumenten, jeweils an zwei Enden der nicht weiter als Auftrittsfläche gekennzeichneten Ebene vor der Bühne. Auf der steht ein ungelenker Jugendlicher mit Baseballcap und Camouflagehosen an einem Mikrofon. Neben dem Mischpult erhellt ein Scheinwerfer einen Trompeter. Auf der anderen Seite, im Publikum verschollen, hantiert eine Musikerin mit einem obskuren elektronischen Gerät herum und erzeugt damit offenbar die repetetiven Klänge, die sich gelegentlich zu Rhythmen kumulieren. In der Mitte, am Mischpult, sitzt ein Mann am Laptop und macht irgendetwas. Der Künstler selbst leitet wortgewandt den Abend ein – zumindest spricht er viel und lang und bringt damit sein Publikum zum herzhaften Lachen.

Was er erzählt, fasst in der Pause ein Mitgast zusammen: Offenbar interpretiert Goodiepal an diesem letzten von drei Jazzhouse-Tagen Fremdkompositionen mit dem Ziel, herauszufinden, ab wann eine Interpretation eine Eigenkomposition ist. Interessanter Ansatz in Zeiten von Copyrightklagen und Urheberrechtsdiskussionen, der indes noch interessanter wäre, bekäme man auch die Originale zu Gehör. Ohne Vergleich und ohne dieses Wissen hält man alles für Eigenkomposition. Beziehungsweise für abgedrehte Improvisation, für die es jenseits des Momentes ohnehin keine Komposition gibt.

Auf Grundlage der elektronischen Geräusche nun steuern die Percussionisten und der Trompeter im ersten Teil, der fast eine Stunde dauert, gelegentlich dronig-ambientale Geräuschschnipsel bei, während Goodiepal alternierend flötet oder den Rapper namens MC Dan Mark dazu auffordert, seine Texte kreisförmig zu wiederholen, und dann dazu wild und ausladend abtanzt. „Electrolux“ heißt dieses Stück. Die Rhythmen kommen in dieser Stunde zumeist nur dann zustande, wenn MC Dan Mark verschüchtert rappt.

Beim zweiten Stück, das deutlich kürzer ausfällt, nimmt MC Dan Mark auf der Bank hinter dem Mischpult Platz und haut sich dem Wams mit Kartoffelchips voll. Dafür lässt Goodiepal die Musik dieses Mal gelegentlich zu elektronisch-noisigen Postrock-Monstern anhäufen. Man sieht Leute mitwippen, und das zu Recht; hier dringen erkennbare Strukturen durch, die nach mehr als provozierender Willkür klingen. Plötzlich verschwindet Goodiepal in der im Dunklen liegenden geschlossenen Bar im hinteren Teil des Kellers und stapelt geräuschvoll Gläser auf einen Servierwagen. Nach einer Weile schiebt er den Wagen vor die Bühne und beginnt damit, paarweise Gläser aus der Bar heraus zu schleppen, stets dabei rhythmisch scheppernd und klirrend. Was wie eine Spontaneingebung wirkt, muss geplant gewesen sein, denn für die Gläser hat er anschließend Verwendung.

Jetzt kommt es nämlich dazu, dass er das Publikum dazu auffordert, sich bei den Gläsern zu bedienen und sie sich für das Folgende an die Ohren zu halten. Dieses Folgende besteht aus einer projizierten Soundkurve, die aussieht wie ein mystisches spirituelles Symbol und die die Visualisierung des Geräusches darstellen soll, das nun erklingt. Und dabei handelt es sich um absolut konturloses, infernalisch brüllendes Weißes Rauschen. Das die Leute tatsächlich konzentriert mit Gläsern über den Ohren verfolgen. Wie zum Henker soll davon ein Original klingen? Man blickt sich im Raum um, sieht die Menschen andächtig lauschen und das über die Leinwand wandernde Symbol verfolgen und kann nicht anders als lauthals lachen.

Dieser Impuls setzt sich beim nächsten Track fort. Wieder erscheinen Kurven auf der Leinwand, vier ineinander verwobene Farblinien wandern gemächlich über einen senkrechten Strich. In einer Reihe stehen Goodiepal und drei weitere Künstler und pfeifen diese wirren Linien nach. Konzentrierte Totenstille im Publikumsbereich, schrille Interferenzen in den Ohren, Lachmuskelkater im Zwerchfell. Die folgende Pause ist dringend nötig.

Nach der Pause sprechen Goodiepal und ein paar Schauspieler auf der Bühne einen Werbejingle ein, danach gibt es noch etwas Musik, und dann ist der obskure Abend auch vorbei. Nicht ganz wie angekündigt bis um drei Uhr morgens dauerte das Ereignis, aber doch bis spät in die Nacht. Ohne Erklärungen hat man ein vermutlich provokantes Stück Improvisationsmusik erlebt. Wirklich das Leben bereichernd war dies natürlich nicht, den Intellekt hat es auch eher belustigt als gefordert.

Bei solch fremdartigen Begegnungen zieht man natürlich Vergleiche. Was kaum möglich ist. Was hat man da: ein bisschen Fraktus, ein bisschen „Hurz“, ein bisschen Helge Schneider? Streicht man das Wissen weg, dass man hier gerade den im gesamten Königreich Dänemark umstrittensten Künstler in der permanent angesagten Hauptstadt des Dänenreiches erlebte, kann man Vergleichbares auch in Braunschweig erleben. Projekte wie die blackhole-factory in der Kunstmühle basieren auch auf technischen Experimenten, lassen aber mehr Struktur und weniger Willkür durchscheinen. Auf bescheuerte Ideen kommt man überall, eine Bedeutungsschwere bekommen aber nicht viele beigemessen. Letztlich bestärkt einen dieses Erlebnis einmal mehr darin, Sachen mal einfach zu machen. Damit ist man dann nämlich nicht der einzige.