Wonderland Band – No. 1 – Polydor 1971/Sireena 2016

Von Matthias Bosenick (23.02.2016)

Was es nicht alles gibt. Und was Sireena Records nicht alles ausgräbt. Und woran Achim Reichel nicht alles beteiligt war. Und was macht „die Klofrau“ mitten in „The Liberal John F. Baverstock“? „No. 1“ ist auch heute noch ein schräges Album, das mutig alle möglichen Stile und Sounds mixt. Mariachitrompeten im Progrock, Mittelaltergetröte im Bluesrock, melodische Avantgarde, was nicht alles. Weitab vom Pop, aber bei weitem nicht so unhörbar wie „Die grüne Reise“. Experimentell, aber schön. Verdient es, wiedergehört zu werden.

Eigentlich existierte diese Band nur drei Jahre lang, und das auch nicht durchgehend. Glaubt man den Annalen, hinterließ die Gruppe seinerzeit mächtige Spuren, die sich allerdings nicht bis heute ziehen. Der Ruhm brach irgendwann ab, sicherlich spätestens, als Achim Reichel 1991 „Aloha heja he“ sang und sich völlig aus dem Blickfeld der progressiv und alternativ hörenden Musikfreunde entwand, um lieber den Soundtrack für Sauftouren zu bieten. Dabei startete er in den Sechzigern bei den Rattles, einer der wenigen deutschen Beatkapellen von einigem Rang und Potential. Als er die jedoch 1966 verlassen musste, um seinen Staatsdienst anzutreten, hatte er nach dessen Ende 1968 Zeit für Neues. Das Projekt Wonderland gehörte dazu.

Sein Rattles-Gefährte Frank Dostal begleitete Reichel ins Wonderland (sowie 1982 zum avantgardistischen Synthpop-Duo Weltschmertz). Man muss sich mal vorstellen, wie die Verstrickungen im deutschen Biz damals waren: Zur Ur-Besetzung von Wonderland gehörte auch Les Humphreys. Dostal wiederum arbeitete – auch mal unter dem Alias Barbara Schewe – mit Leuten wie Nico Haak („Schmidtchen Schleicher“), Gottlieb Wendehals, Klaus & Klaus, Helga Feddersen, Dieter Hallervorden und Die Braut haut ins Auge. Die anderen Wonderland-Mitglieder waren Claus-Robert Kruse (spielte unter anderem mit Reichel, Volker Lechtenbrink, Bad Boys Blue, Karel Gott, Freddy Quinn, Franz Josef Degenhardt, Al Bano & Romina Power, Audrey Landers, Die Wildecker Herzbuben, G.G. Anderson sowie ganz vielen, von denen man hernach nie wieder hörte), Dicky Tarrach (später mit Michael Cretu bei Moti Special), Kalle Trapp (coverte später mit Stag den Proto-Rocker „Black Betty“ als Italopopnummer) und Helmuth Franke, der die Brücke zum James Last Orchester bildete, das flächendeckend an den Produktionen von Wonderland beteiligt war. Nerdwissen? Aber was für eines! Und keines, das ohne das Internet so schnell abrufbar wäre, stattgegeben.

Das alles soll aber nur deutlich machen, wie verwunderlich es ist, dass ein Stück Musik wie „No. 1“ überhaupt existiert. Die Wonderländer machen alles richtig: Avantgarde heißt nicht, dass man zwingend in unhörbaren Scheiß abdriften muss, um sich von der breiten Masse abzuheben. Das kann auch schlichtweg bedeuten, dass man in Sachen Arrangement, Instrumentierung und Komposition einfach mal andere Wege geht, ohne die Seriosität auf der Strecke zu lassen. Und das geschieht hier. Schönheit liegt der Platte allemal inne, Kraft, sicherlich auch Schwermut. Aber immer ganz viel Entdeckerfreude. Über die Ufer treten, aus den Grenzen ausbrechen.

Los geht es mit einem Indianerboogie, der auch als Single erschien: „Heya, Donna Laya“. „The Liberal John F. Baverstock“ ist eine chorgesungene Pianoballade, die immerzu in ein blechblasinstrumentiertes Pandämonium mit Groove mündet. „Heavy Rider“ vermischt die Soundtracks von Mittelalter-, Piraten- und Sandalenfilmen mit Sägegitarren. „I Make Music“ verspricht nicht zu viel; der Song erinnert an fröhlichen Beat vom englischen Lande, vermeidet aber das Süßliche. Der „Country Clown“ ist mitnichten lustig, er rattlet fast wie ein berühmtes Stück der Rolling Stones. „Unfaithful“ saugt den Peace aus der kalifornischen Hippiemusik. „The Hill“ fesselt zwölf Minuten lang mit zu Bass und Percussion wiederholten Mantras, Fanfaren und Gitarren. All diese Beschreibungen decken nur rudimentär das ab, was die Songs tatsächlich zu bieten haben. „No. 1“ ist eine fabelhafte Entdeckungsreise – eine andere als die nahezu zeitgleich erschienene „Grüne Reise“ von A.R. & Machines, die definitiv anstrengend ist.

Nicht enthalten sind hier, wie schon im Original, die vier Singles, die die Band davor veröffentlichte. Ganz besonders berühmt soll laut Presseinfo das Debüt „Moscow“ 1968 gewesen sein, poppig und chartserprobt. Muss man wohl so glauben, wenn man nicht dabei war. Immerhin führte es offenbar dazu, dass Wonderland mit Deep Purple tourten. Noch so ein Querverweis. Man darf gespannt sein auf „No. 2“! Äh.