Wolfsburg – Die Stadt/The City – Joachim Altschaffel 2011

Von Matthias Bosenick (08.07.2012)

Ein Film über Wolfsburg. Was soll da schon zu sehen sein, denkt man als Auswärtiger, wie interessant soll bitteschön eine Stadt wie Wolfsburg sein, ausgerechnet Wolfsburg. Selbst Wolfsburger neigten bis zuletzt dazu, ihre Stadt mit brutaler Wortgewalt zu verteidigen, weil sie wussten, dass es eigentlich um nichts geht. Wolfsburg, mitten in Ostfalen, einem Landstrich, dessen Bewohner nicht eben offen und zugänglich sind. Wolfsburg, eine Stadt, die sich über einen einzigen Industriezweig und nur einen einzigen Arbeitgeber definiert. Hat. Denn wie im Ruhrgebiet findet auch in Wolfsburg der Wandel statt: Seit dem ausgehenden zweiten Jahrtausend begreift Wolfsburg sich nicht nur als Autostadt und der Wolfsburger sich nicht nur als Arbeiter. Wolfsburg öffnete sich für Kultur, Architektur, die erste Fußball-Bundesliga und den Tourismus. Der Wolfsburger ist es inzwischen gewohnt, von neugierigen Fremden umringt zu sein, und fasst etwa die Italiener, die als erste Fremde vor 50 Jahren zum Arbeiten kamen und bis heute blieben, schon längst nicht mehr als Fremde auf. Wolfsburg ist interessant, ideenreich und schön. Und Joachim Altschaffel zeigt das mit dieser DVD.

Altschaffel ist ein Rundumtalent. Er überzeugt seit Jahren mit Fotos, Layout, Zeichnungen, nun eben auch mit Film. Sein Blick für Perspektiven, Strukturen, Farben, inhaltliche Zusammenhänge und vermeintlich Unscheinbares lässt ihn Ansichten finden, die andere übersehen, und Bilder zusammenfügen, die man selbst nicht zusammengebracht hätte, die dann aber überraschend schlüssig sind. Filmische Unterstützung erhielt er von Sebastian Bisch und Kerstin Kruse, die Musik komponierte Paul Liksza für sein Jazz Trio. Die gewonnenen Bilder verteilt Altschaffel auf zwei Filme, den achtminütigen Hauptfilm und die 25-minütige Extended-Version. Dazu gibt es einen 40-sekündigen Teaser.

Der Hauptfilm zählt in verfolgbaren schnellen Schnitten und Splitscreens die Ansichten von Wolfsburg auf, die entspannte Jazzmusik nimmt dem Tempo die Hast. Es wäre müßig, aufzuzählen, was das Filmteam alles in Wolfsburg entdeckte. Der Film macht gar den Eindruck, die Motive seien auf einer weit größeren Fläche entdeckt worden als dem schmalen Stadtgebiet Wolfsburgs. Für so viele fantastische, eindrucksvolle, schöne, rührende Ansichten muss man doch sehr lange und sehr weit unterwegs gewesen sein. Und man wünscht sich, diese acht Minuten würden sich Zeit lassen, damit man mehr Bilder in sich aufnehmen kann. Das geht, denn dafür gibt es die Extended-Version. Unglaublich, dass die Stadt dann auch noch so viel Material hergibt, dass es für die dreifache Länge reicht und immer noch nicht langweilt, dieses Wolfsburg.

Der Film ist nicht einfach nur ein Tourismusprodukt, er ist eine Liebeserklärung. Wer einen solchen Blick auf einen Ort zeigt, muss diesem Ort mehr als nur einen Auftrag abgewinnen. Für 2013 ist eine erweiterte Blueray-Version angedacht, denn dann wird Wolfsburg 75 Jahre alt. Erst. Vielleicht schaffen es dann auch die Aspekte in den Film, die trotz der immensen Fülle fehlen: die Dorfkneipen, die Metal-Bands, die Punk-Literaten, die Sprayer, die Rapper, also all die Aspekte, die eine Stadt wirklich erst lebendig und zur Großstadt machen, und von deren Existenz bisweilen selbst Wolfsburger nichts wissen.

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