Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: „Herr Tonmeister, bitte wo ist das Klatschband…

Von Onkel Rosebud

… Das Klatschband, um die wahre Stimmung zu erzeugen, um yupp-heidie, yupp-heidah dazu machen, nicht wahr.“ (Torfrock, „Torfrockball im Hühnerstall“, 1979)

Meine Freundin geht gern einmal in ein Konzert, um den Helden der Pop-Kultur bei ihrem Vortrag zu lauschen. Leider muss sie sich das zeitgenössische Kunsterlebnis häufig von der Backe wischen, weil ihr eine besondere Spezies urbaner Genusskultur die Suppe der Unterhaltsamkeit versalzt: der Mitklatscher! Taucht er neben einem auf, setzt es Daseinsbewältigungskonflikte in Bewegung, wieso wohl der werte Name der aufspielenden und angehimmelten Formation solches Kroppzeug anlocken konnte.

Der Mitklatscher ist wohl eine der irritierendsten Erscheinungen der freien Wildbahn der Konzertauditoren. Nicht zu verwechseln ist er mit dem Applausklatscher und dem Anheiz-Klatscher, der sich eher in Beifallsbekundungen, perkussive Unterstützung an geeigneten Songpassagen oder Zugabeforderung etc. manifestiert. Der Mitklatscher sondert sein Klatschen nicht dosiert und zweckgebunden aus, sondern geht seinem Handwerk abendfüllend, ausdauernd und mit charakteristischer Verbissenheit nach. Das lässt weder humanistische Bildung noch Adel erahnen. Mitklatscher sind 100%ig männlich, tragen zu 80 % weiße Socken, jeder Dritte von ihnen fährt Liegerad. Fast vom Aussterben bedroht sind jene Dauerklatscher, deren schütteres Haupthaar von einem Klatschband zusammengehalten wird. Die wiederum lohnen den Konzertbesuch, weil wir sie eines Tages nur in Grotesk-Zoohandlungen bewundern können und dafür extra Eintritt zahlen müssen.

Weil der Mitklatscher mit dem Rhythmusgefühl einer Packung Katzenstreu ausgerüstet ist, kann er nicht auf landläufige Konzert-Aktivitäten wie Hüftwackeln und Fußwippen zurückgreifen, sondern reagiert stattdessen die sich unter den akustischen Eindruck des Dargebotenen aufstauende motorische Energie über das Ventil monotonen Hände-Patschens ab. Ganz in der Tradition einschlägiger Bierzelt-Klientel, und unter Nichtbeachtung der Möglichkeit, solches Stimmungsgetue könne Umstehenden auf Keks, Nüsse, Senkel, Sack, Wecker etc. gehen, sieht der Mitklatscher die arhythmische Lärmerzeugung als Legitimation seines Hierseins und Ausdruck seines Teilhabens am Event an. Deshalb klatscht er durch, komme was da wolle. Ob Uptempo-Beats oder filigrane Ballade: Solange die Batterie nicht alle ist, zuckt das Duracell-Klatsch-Karnickel wie ein Schellenäffchen.

Und verbreitet so noch im mondänsten delikat-burlesken Boheme-Spektakel jene piefige Musikantenstadl-Atmosphäre, die den Mitklatscher so ätzend macht wie Phil Collins. Sehr anschaulich dargelegt ist dieser zivile Ungehorsam in Portisheads „Live in New York“. Der Song „Roads“ kommt in der ureigentlichen Fassung daher wie ein Himmel voller blauer Neunen bei Vollmond. In der Liveversion ist er durch Klatschen zerschmettert wie alte Gelbe Seiten im Recyclingpark. Das Befremdende ist, dass die Applausatoren nicht klatschen, weil ein Lied nach ihrem Gutdünken besonders gut ist, sondern, weil sie es bereits kennen. Das Übelste ist der Brauch, zu Beginn eines Liedes zu klatschen, um damit zu prahlen, dass man es erkannt hat. Der Mitklatscher beklatscht sein eigenes Gedächtnis. Er beklatscht, dass die vielen Flaschen Radeberger nicht umsonst getrunken worden sind. Ich prangere das an. Ich trinke lieber Eibauer.

Onkel Rosebud

P.S.: Dieser Text erschien erstmals am 31. Mai 2000 in ad-rem, Jahrgang 12, Nummer 13.

Nachtrag 2023: Eibauer trinke ich schon lange nicht mehr und bei Phil Collins möchte ich mich hiermit ausdrücklich für die jahrelange Disse in den Kolumnen entschuldigen. Hey Phil, old house, nobody can reach you the water.