Tom Jones – Long Lost Suitcase – Seconds Out/Virgin 2015

Von Matthias Bosenick (08.02.2016)

So richtig viele Ergraute haben es nicht geschafft, nach diversen Untiefen im Alter zur Würde zurückzukehren (oder sich ihr wenigstens erstmals zuzuwenden)(oder gleich lebenslang würdevoll zu sein, wie Patti Smith). Tom Jones ist einer von ihnen: „Long Lost Suitcase“ ist der Abschluss einer Trilogie, die sich mit Jones‘ Einflüssen und musikalischen Wegbegleitern befasst. Das Album wirkt weniger kohärent als die Vorgänger, eher wie eine Compilation, aber was der Waliser darauf macht, macht er mehr als gut. Blues, Country, Ballade, Funk, Rock – wäre da nicht seine markante und immer noch unschlagbar kräftige Stimme, die Auswahl klänge willkürlich. So ist sie aber biographisch. Statt „What’s New, Pussycat?“ fragt das Album eher „What’s Old, Tiger?“

Der Mann ist jetzt 75 Jahre alt. Und hat eine Inbrunst in der Stimme, eine Seele auf dem Zwerchfell, als hätte er die Bühne gerade erst frisch erklommen. Interessanterweise konnten ihm selbst seine Las-Vegas-Bespaßung und sein wilder Tigerslip den Ruf nicht versauen, dafür stand er zu selbstbewusst da und machte auch nie einen Hehl daraus, dass seine Kunst weniger darin lag, zu komponieren oder zu musizieren, sondern zu interpretieren (erst nach der Jahrtausendwende begann er so richtig damit, auch mal eigene Songs zu schreiben). Und mal wirklich, im Adaptieren war er immer gut und ist es auch heute. Selbst ein stumpfes „Sex Bomb“, das ihm der Hannoveraner Mousse-T 1999 für das Cover-Duett-Album „Reload“ (das bessere – Metallicas gleichnamiges Album ist Scheiße, und gegen jenes noch mal so richtig) auf den Leib schneiderte, machte der Tiger schmerzfrei hörbar. Schon 1988 ließen ihn The Art Of Noise beweisen, dass der unterkühlte Prince-Song „Kiss“ auch Feuer und Hitze hat. Und wie geil war er 1996 als er selbst in „Mars Attacks!“, spätestens dann musste man ihn lieben. So einen gibt’s nicht oft, vielleicht war Achim Mentzel ihm auf eine gewisse Weise ähnlich.

Nun blickt Jones also zum dritten Mal in seine eigene Plattensammlung. Erst mit „Praise & Blame“ 2010, dann mit „Spirit In The Room“ 2012 und nun eben mit „Long Lost Suitcase“. Alle Alben produzierte Ethan Johns; jener nimmt damit eine vergleichbare Rolle ein wie Rick Rubin bei Johny Cash. Und ganz wie der Man In Black singt auch Jones zu anderer Musik als früher, klingt nun reifer, erwachsener, seriöser gar. Und experimenteller: Gillian Welchs „Elvis Presley Blues“ etwa hat als einziges Instrument eine reverb-zerhackte E-Gitarre. Manches ist Country; damit fischt er nur vordergründig in Cashs Gewässern, denn die Instrumentierung ist anders, mal mit Slideguitar (traurig: „He Was A Friend Of Mine“) oder mit Banjo und Fiddle (direkt im Anschluss fröhlich: „Factory Girl“). Das meiste ist aber Blues, und zwar so trockener, erdiger, dass man den Schmutz aus den Boxen fallen hört. Auch den Funk kann er begleiten. Und wenn er dann zu „I Wish You Would“ das Tempo anzieht und losrockt, freut man sich über eine Coolness, die man so auch von Tito & Tarantula in der Titty Twister Bar hörte. Die Originale stammen unter anderem von Los Lobos, Hank Williams und Willie Nelson. Eigene Songs sind nicht dabei, aber von ihm mitarrangiert ist das gutgelaunte Traditional „Raise A Ruckus“ am Schluss.

Und was der Mann für einen Spaß beim Singen gehabt haben muss. Kein Wunder, wenn er die Quellen selbst wählt: Niemand greift ihm ins Ruder, das ist ganz sein Ding, und das hört man. Da ist einem der etwas abrupte Stimmungswechsel zwischen manchen Songs auch egal. Außerdem hat er Musiker, die sich nicht in den Vordergrund drängen, aber auch keinen Murks abliefern; die Begleitung ist mehr als nur solide, sie hat Seele. Schade, dass das der Abschluss einer Trilogie sein soll. Gern könnte Jones einfach so weitermachen. Coole Sau. Äh, Tiger.