Törzs – Tükör – Golden Antenna Records 2019

Von Matthias Bosenick (14.02.2020)

Eine ungarische Band nimmt ein Post-Rock-Album des Halls wegen in einer Tropfsteinhöhle auf: Die Rahmenbedingungen sind spektakulär, die Musik auf „Tükör“ greift in höchste Höhen, jubiliert, tiriliert, alles auf bestem Niveau – und verpasst die einmalige Chance, dabei dem Genre etwas Eigenes hinzuzufügen. Keine Frage, „Tükör“ ist ein tolles Album und Törzs aus Budapest eine tolle Band, aber man hat auch so grandiose Musik wie diese bereits hinreichend vernommen.

Wenn Törzs wenigstens wie Jambinai Instrumente oder Melodien der heimischen Folklore integriert hätten! Das Ungarische dringt jedoch zu keinem Zeitpunkt aus der Musik. Die bleibt komplett im Genre verhaftet: etwas Shoegaze, langsame Songs, hymnische Melodien, wunderschöne Atmosphären, wechselhafte Songdichten, aufgetürmte Walls Of Sound, ortsbedingt massig Hall und Echo, komplett instrumental. Die hohe Kunst also, nur unerwarteterweise weitgehend ohne eigene Handschrift.

Kaum je ziehen Törzs das Tempo an, seltenst verzerren sie die Gitarren über das vertraute Maß hinaus, nie kommt es zu unerwarteten Brüchen. „Tükör“ bedient die Tradition des Genres, in seiner Hymnenhaftigkeit erinnert es bisweilen an die seligen U2, erst kurz vor Schluss gniedelt einmalig eine Pink-Floyd-Gitarre durch die Stalagmiten. Man hört, dass die Musiker ihre Freude hatten, als sie das Album live einspielten, und nicht zuletzt deshalb hört man es auch gern. Die Musik ist ja für sich betrachtet auch gut.

Man möchte so gern die Exotik des Ortes heraushören können. Aggteleki Cseppkőbarlang lautet der Name der Tropfsteinhöhle, in der „Tükör“ entstand, und die liegt in Nordungarn in einem Nationalpark an der Grenze zur Slowakei, zum Karst, zur Niederen Tatra, rund 200 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. „Tükör“ heißt „Spiegel“, und das passt sogar, obschon sich zwar nicht das Umfeld in der Musik reflektiert, aber doch das Genre an sich und das Album somit bereits Bestehendes zeigt, aber nichts Eigenes kreiert.

Törzs sind zu dritt: Soma Balázs, Dániel Nyitray und Zsombor Lehoczky musizieren in der Höhle. „Tükör“ ist ihr drittes Album in fünf Jahren. Man möchte es gern innig lieben, weil das Trio sympathisch wirkt und die Aufnahmebedingungen so bemerkenswert sind, doch fehlt dafür ein gerüttelt Maß an Eigenständigkeit in der Musik, und so reicht es immerhin für Respekt und Anerkennung. Ungern hat man die Ungarn deshalb aber nicht in seiner Sammlung.