Serge Roon – Leseprobe 1 – Independent Medien Produktion 2012

Von Matthias Bosenick (08.10.2012)

„Leseproben“ bietet uns Serge Roon in Form einer CD mit Buch oder eines Buches mit CD (das eine bildet zwar das andere ab, aber es gibt marginale bis einschneidende Unterschiede) an, ganz überraschend und aus heiterem Himmel. Denn als Autor trat er bislang nie in Erscheinung; Gäste des Café Riptide im Braunschweiger Handelsweg kennen ihn als Nachbarn mit Antiquariat und wissen ihn als konstruktiv streitbaren Philosophengeist zu schätzen. Es ist mehr über ihn als von ihm persönlich bekannt, und selbst das Wissen über ihn beschränkt sich darauf, dass von einer Theatervergangenheit gesprochen wird. Umso überraschender, bisweilen erschreckender ist die Tatsache, wie offenherzig autobiographisch Serge Roon in seinen Texten nun ist. Das, ein hohes Maß an gestalterischem Intellekt und die Technik, dass die Inhalte mehrschichtig versetzt montiert sind, eint die vier vorliegenden Texte. Ansonsten könnten sie unterschiedlicher kaum sein: Der erste ist eine augenzwinkernde Betrachtung über das bei weitem nicht augenzwinkernde Thema Einsamkeit, der letzte das Dokument eines experimentellen schriftstellerischen Selbstversuchs. Man hört und liest, wie wichtig Serge Qualität ist; indes werden die Texte im Verlaufe schwieriger zugänglich.

Serge wird aus persönlichen Gründen autobiographisch. Das erschließt sich nicht direkt aus den Texten, sondern umgekehrt: Mit etwas bei einem Kaffee in seinem Antiquariat erworbenen Wissen über ihn erschließen sich die Inhalte der Texte besser. Das schmerzende Herz im vierten Text „Dead Man Walking“ etwa, das vor wenigen Jahren der Auslöser dafür war, dass er heute so offen ist – und so künstlerisch agil, indem er wieder Theaterproduktionen übernimmt, Lesungen hält oder eben ein Hörbuch verfasst. Dabei sind die „Leseproben“ mitnichten ein autobiographischer Versuch eines Laien, im Gegenteil; sie haben lediglich autobiographische Züge und sind die Textexperimente eines Könners.

„Kurzer Brief zum langen Abschied“ ist dabei am zugänglichsten, am einfachsten nachvollziehbar. Auf drei Ebenen begegnet Serge seiner Einsamkeit, nicht dem simplen Alleinsein, allein ist er nicht. Seine frühere Frau lebt mit seinen Kindern andernorts, erfährt man, und mit einer seiner Töchter verfasst der Ich-Erzähler die Antwort auf eine Kontaktanzeige. Die erste Ebene ist der Brief, die zweite der Dialog mit seiner Tochter und die dritte der mit sich selbst. Diese drei Ebenen verschachtelt Serge auf eine Weise umeinander, dass sie einander inhaltlich aufschlusreich ergänzen. Die Sprache ist so frisch wie die seiner 14-jährigen Tochter, der Inhalt indes ist es nicht; von hinten schleicht sich Schwärze ein. So direkt wie in diesem Text ist der Humor in den „Leseproben“ nie wieder.

Mit „Die katalanische Braut“ geht Serge den nächsten Schritt. Er ist dem Umstand auf der Spur, wie ein Gefühl die Erinnerung an ein Musikstück auslösen kann (nicht umgekehrt). Dafür assoziiert und theoretisiert er zur subjektiven Musikrezeption und kramt gleichzeitig in seiner Erinnerung nach Verbindungen zu dem betreffenden Musikstück. Die oberflächliche Leichtigkeit des skizzierten Spanienaufenthaltes bricht sich in der gegenwärtig quälenden Suche, doch beides löst sich in der Erinnerung an den wortwörtlichen Höhepunkt des Urlaubs auf.

In „Lucky Man“ analysiert Serge seinen kreativen Prozess und sein Selbstvertrauen. Es wird schwieriger: Ein Kind und der Titelgeber greifen in den inneren Monolog über eine Schreibblockade ein, der wiederum so poetisch ist, dass er die Schreibblockade negiert. Das Kind und der Lucky Man fordern den Ich-Erzähler zu einem kleinen Wettstreit im Haiku-Verfassen heraus. Die Stimmen – von Laura Balzer und Bernhard Selker – mischen sich in seine Selbstzweifel ein und bringen ihn dazu, diesen zu überwinden.

Und „Dead Man Walking“ ist eine Herausforderung an die Konzentration. Eigentlich beschreibt Serge einen Versuchsaufbau mit sich selbst: Parallel zu einem anderen Text will er alle fünfzehn Minuten ohne nachzudenken einen willkürlichen Satz auf seinem Laptop schreiben. Zunächst beginnt der Text mit einer Reflexion über ausgeschaltetes Denken, zuletzt offenbart sich der Erzähler als Meister der assoziativen Abschweifung. Form und Inhalt decken sich bald, Serge protokolliert einen Tag, man kann bald nicht unterscheiden, welches seine zum Teil selbstanalytischen Gedanken sind und welches die Sätze, die er notiert. So konfus dieser Text auch wirken mag, er überrascht mit Einwürfen wie „nichts ist trostloser als ein mitten im Zimmer herumliegender roter Staubsauger, der gedemütigt auf dich wartet“. Des Autoren Fazit: „Plan gescheitert oder auch nicht“.

Serge kann was. Nicht nur als Autor; seine Theatererfahrung macht ihn zu einem vortrefflichen Erzähler. So ist die CD wie ein nach Hause genommenes Gespräch mit ihm, nur dass man selbst keine Beiträge leisten kann. Das folgt dann beim nächsten Besuch im Handelsweg. Weitere „Leseproben“ sind angekündigt.

Mehr Infos: www.sergeroon.de.

Ein Gedanke zu „Serge Roon – Leseprobe 1 – Independent Medien Produktion 2012

  1. Ich hätte gerne mal wieder mit Herrn Beier (Serge Roon) gesprochen: Eine Verwandtschaft sollte nicht einfach im Nichts enden!
    Liebe Grüsse
    Wolf

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