Schneider Collaborations – Vier Alben – Jörg A. Schneider 2018

Von Matthias Bosenick (22.10.2018)

Das ist mindestens ambitioniert, garantiert begeisternd und erzeugt nach erstem überraschtem Auflachen über die Menge an Musik ein nachhaltiges Staunen: Schlagzeuger Jörg Alexander Schneider aus Hückelhoven veröffentlicht in diesem Jahr so viel Musik wie schon lang nicht mehr – und unter dem Schlagwort Schneider Collaborations gleich vier LPs auf einen Schlag. Sein freies, dem Free Jazz angelehntes wild wirbelndes Schlagzeugspiel dient den beteiligten Musikern als Grundlage für ihre eigenen Experimente, und je weiter man sich vorarbeitet, desto tiefer taucht man sowohl in die Geschichte als auch in die mögliche Zukunft des mit dem Noiserock kombinierten Jazz ab. Unfassbar.

Man sollte die vier LPs in der richtigen Reihenfolge hören, da lässt sich tatsächlich eine Dramaturgie heraushören, wenn man so möchte. Also startet man mit Volume 01, Schneider/Scharco. Bei Scharco handelt es sich um den Gitarristen Marco Schardinel, der auch an dem Comeback von Schneiders Band Fischessen vor wenigen Wochen beteiligt war sowie Schneiders Partner bei Nicoffeine, dem bisherigen gemeinsamen Experimentierfeld. Als Duo zelebrieren sie die sich von entspannt zu nervös steigernde Kombination aus Schlagzeug und Gitarre und setzen damit quasi das Oeuvre ihres älteren Projektes fort. So reduziert, wie Scharco seine Gitarre einsetzt, punktuell und vermeintlich willkürlich, so vertraut wahnwitzig ackert sich Schneider an seinem Schlagzeug ab. Den Stresslevel erhöhen die beiden im Verlauf des Albums: Zunächst strahlen sie mit gedämpfter Vielschlagerei und Saitenzupfen sogar Ruhe aus, alsbald kumulieren sich die Instrumente zu scheinbar willkürlichen Tonanhäufungen. Und trotzdem hat die Musik etwas Karges, da sie eben nur auf zwei Instrumente reduziert ist. Wie so oft bei Schneiders Projekten, tragen auch hier viele Stücke aus Ermangelung an Texten Titel mit humorigen Anspielungen, etwa „Roger Mohr“ oder „Bloody Married“.

Für Volume 02 tat sich Schneider mit dem jungen experimentellen Duo Complainer zusammen, bestehend aus Mabel Suen mit Klarinette und Saxophon sowie Joseph Hess mit Geräuschen und Percussion. Hier dringt das Trio in die experimentelle Improvisation vor, inklusive dunkler Drones, die das manchmal zickige Saxophon und das mal aggressive, mal wie gewohnt hektisch ziselierte Schlagzeug untergraben. Die hintergründige Kollision mit dem Elektronischen verleiht dem Improjazz ein neues Gesicht und dominiert den Sound doch nie. Dieses Album gab es bereits im Mai als Kassette auf Already Dead Tapes, lediglich mit anderem Artwork.

Volume 03 mit Almeida ist eine Quasi-Fortsetzung des Free-Jazz-Projektes Roji, das der Schlagzeuger Schneider mit dem Bassisten Goncalo Almeida aus der Taufe hob und wie hier partiell begleiten ließ; Colin Webster war auch an Roji beteiligt, für Susanna Santos Silva stieg hier Julius Gabriel dazu. Die beiden Saxophone sind nur auf einem Drittel der Tracks zu hören, die meisten bestreiten Schneider und Almeida allein mit Bass und Schlagzeug inklusive abenteuerlicher Percussions – und wo man das Saxophon hört, kommen Erinnerungen an den frühen Free Jazz hoch, was einen beinahe warmen Querverweis inmitten des ansonsten eher spröden, aber vor lauter Einfallsreichtum fesselnden Sounds legt. Schneider rührt die Trommeln, wie man es kennt, und Almeida setzt seinen Bass an mancher Stelle ein, als spielte er auf erhitzten Stahlträgern. Das dritte ist das wärmste der vier Alben.

Als Quartett SWWS bestreitet Schneider das Album Volume 04 und gab ihm den Titel „Chronicle: Revolution Angels“. Dafür tat er sich mit drei Fünfteln des Peter J. Woods Free Jazz Enseble aus Milwaukee zusammen, namentlich mit dem Bass spielenden und Stimme beisteuernden Namensgeber sowie mit Jason Wietlispach, der sich auf Oboen, Klarinetten und Akkordeons spezialisiert hat, und Mike Schauwitzer, der mit Samples und nicht aus Instrumenten erzeugten Geräuschen einen gewissen Industrial-Faktor beiträgt und das Akronym vervollständigt. Mit den eingestreuten absonderlichen Sounds erinnert das Quartett mal an John Zorn gemixt mit dem Kronos Quartet, nur in hektischer – vom frühen Free Jazz ist die Musik nun weit entfernt, das Hier und Jetzt und die auf Intuition, Talent und über Jahre angehäuftes Können basierende Melange stehen für sich selbst. Und leise gleitet das Album aus – damit hat man einen auf vier LPs verteilten dreistündigen Ritt hinter sich, der die Sinne durchrüttelt und die Seele gleichzeitig streichelt und aufkratzt.

Das Layout für alle vier LPs übernahm einmal mehr Soheyl Nassary, der auch als Musiker seine Spuren in Schneiders Werken hinterließ. Aber nur vier LPs auf einen Schlag, so kurz nach der CD mit Fischessen – wird mal wieder Zeit für neue Mucke, Herr Schneider, oder? Wie wäre es mit einem neuen Projekt mit Yvonne Nussbaum, nach Les Hommes Qui Wear Espandrillos und Skim könnte man ja so etwas wie Wolfskull aus der Taufe heben, oder? Ach, ist soeben erfolgt? Keine Atempause!