Roji – The Hundred Headed Women – Shhpuma/Clean Feed 2016

Von Matthias Bosenick (27.12.2016)

Alle Jahre wieder: Kurz vor dem Jahreswechsel schiebt noch jemand einen Anwärter für die Top-Ten-Liste der Jahrescharts auf den Markt. Dieses Mal: Roji, ein Projekt, auf das ich ohne den Schlagzeuger nicht aufmerksam geworden wäre; Jörg A. Schneider kam mir erstmals vor 20 Jahren mit Les Hommes Qui Wear Espandrillos unter. Mit Roji macht er Jazz. Und zwar so freien, dass er für manche Hörer sicherlich kaum noch als Musik erlebbar ist. Die Musik besteht hier als Grundlage lediglich aus Schlagzeug, Bass und Loops, gelegentlich garniert mit – man muss es so sagen – Tröten. Berauschend, befreiend. Lärm.

Den „Taubedeckten Boden“, so die Übersetzung des Bandnamens aus dem Japangartenvokabular, sucht man hier – zumindest mit grobem Blick – vergebens. Dafür ist die Fläche hier zu unaufgeräumt. Das Schlagzeug rumpelt vor sich hin, der Bass dröhnt, dazwischen brummen Loops. Dem Free Jazz entlehnt, fügen die beiden Projektchefs, der portugiesische Bassist Gonçalo Almeida und der Bonner Schlagzeuger Jörg A. Schneider, Trompete und Bariton-Saxophon hinzu, im Wechsel dargereicht durch Susana Santos Silva und Colin Webster und selbstredend frei von jeglicher Melodie.

Im Grunde ist es nichts Neues, was hier passiert. Doch populär war solche Musik nie und mindestens die dronigen Soundeffekte stellen ein Alleinstellungsmerkmal dar. Ansonsten knüppeln die Basismusiker munter herum und lassen sich von entfremdetem Getröt begleiten. Liest sich so sicherlich wenig attraktiv, aber wer so etwas spielen kann, erzeugt etwas Unterscheidbares zu schlichtem Lärm: Das Album klingt schlüssig, es erzeugt Stimmungen, dunkle zumeist, es lässt sogar Raum für den Tau auf dem Boden, kurz vor Ablauf der Spielzeit. Wer solche Disharmonien erzeugen will, muss wissen, wie man Harmonien erzeugt; alte Binsenweisheit, die aber auch auf dieses Duo-Quartett zutrifft.

Wenn man sich auf dieses Gerümpel einlassen kann, entdeckt man die Schönheiten darin: Almeidas Bass hat Wärme, Schneiders Schlagzeug lässt Raum für eigene Notizen. Auch die malträtierten Blasinstrumente unterlassen es, sich direkt an die Nerven zu wenden. Die Musik mag unstrukturiert wirken, doch ergibt das Album einen schönen Fluss, in dem man sich treiben lassen kann, vom ruppigen Gebirgsbach hin zum geräumigen Containerhafen.

Man braucht schon einige Vorerfahrungen, wenn man sich diesem Album öffnen will. Kenntnisse in Sachen Monno, Bohren & der Club Of Gore oder diversen Doom-Bands sind förderlich dafür, sich auch mit diesen hundertköpfigen Frauen anzufreunden. Erst dabei fällt einem dann auf, wie düster das Album wirklich ist; wer darauf steht, findet hieran seine helle Freude. Es ist ein dräuender Lärm, der zum aufgewühlten Entspannen einlädt.