Nymph()maniac 2 – Lars von Trier – DK, B, F, D, GB 2013

Von Matthias Bosenick (08.04.2014)

Wie zu erwarten zeigt die zweite Hälfte des gesplitteten Mammutpornos mit Handlung alles das, was in der ersten Hälfte fehlte: Homoerotik, Sado-Masochismus, Gewalt, Vergewaltigung. Die Stimmung ist dabei zunehmend weniger humorvoll. Die sich für ihre Nymphomanie selbst kasteiende Joe und ihr rational-asexueller Retter Seligman nähern sich seelisch aber immer weiter an. Mit überraschendem Ende: Lars von Trier erlaubt einen Twist, über den es sich trefflich lang diskutieren lässt.

Ohne Einleitung geht es einfach beim Schnitt nach Ende der ersten Hälfte weiter. Joe berichtet von dem Experiment, sich von einem Sprachproblem sexuell stimulieren zu lassen, indem sie sich mit einem Afrikaner einlässt, der auch noch seinen Bruder mitbringt und mit dem darüber streitet, wer bei ihr welches Loch füllen darf. Mit Seligman streitet sie über ihre Wortwahl „Neger“. Er meint, dass das Wort politisch nicht korrent ist, und sie argumentiert, dass man die Haltung der Gesellschaft nicht dadurch verändert, dass man Wörter verbietet.

Damit ändert sich etwas im Gefüge der beiden: Er verliert zusehends seinen überlegenen Posten als rational-naturwissenschaftlicher Philosoph, der ihre selbstzerstörerische Eigensicht negiert, denn plötzlich sind ihre aus ihrer Lebenserfahrung gespeisten Argumente gewichtiger und effektiver als seine. Sein Einflussverlust gipfelt darin, dass sie den Hinweis für ihre finale Geschichte nicht wie sonst vorgegeben in seiner Wohnung findet, sondern als Folge einer ihrer Taten, in einem Fleck an der Wand nämlich, verursacht dadurch, dass sie wutentbrannt eine Teetasse zertrümmerte.

Wie bei „Forrest Gump“ ist Joe eine Person, deren Biografie üppiger ausgestattet ist als die einer ganzen Familie. Sie hat mit Jerôme ein Kind, verliert die beiden aber, weil sie ihrer abgestorbenen Lust nachgeht, indem sie sich nachts körperlich züchtigen lässt und dabei ihre Sorgepflicht vernachlässigt. Danach wird sie illegale Schuldeneintreiberin und beginnt ein Verhältnis mit einer Teenagerin, die sie zu ihrer Nachfolgerin erziehen soll. Damit geht eine Veränderung in Joes Charakter einher: Sie ist nicht mehr länger passiv, sondern zerstört auch mal Autos oder peitscht Männer aus; parallel zu ihren entsprechenden Berichten ändert sich auch das Rollenverhältnis zwischen Joe und Seligman. Die Teenagerin wiederum übernimmt bald den Auftrag, bei Jerôme Schulden einzutreiben, und betrügt Joe mit ihm. Es kommt zu der Situation, die Joe in Seligmans fürsorgliche Hände bringt: Joe scheitert bei dem Versuch, Jerôme zu erschießen, und der verprügelt sie dafür.

Es stellt sich für Joe heraus, dass Seligman der erste Mann ist, der sich von ihren Geschichten nicht sexuell erregen lässt. Sie fasst Vertrauen zu ihm und lernt damit eine offenbar seltene Sorte Männer kennen. Die gibt es, sagt die Realität: Doch Lars von Trier misstraut allen Männern, und so lässt er auch Seligman ein Arschloch sein. Da sitzt nun der diskutable Twist im Plot: Die letzten 30 Sekunden negieren die vier Stunden davor. Eine sensible Anfrage von Seiten Seligmans war einigermaßen erwartbar, seine unabgesprochene Eigeninitiative aber nicht. Die Kosequenz, die Seligman für diese Aktion zieht, musste aber sein, denn sonst hätte von Trier nicht die Pointe mit der Abspannmusik bringen können: Hauptdarstellerin Charlotte Gainsbourg covert mit Becks Hilfe „Hey Joe“ von Jimi Hendrix. Dieser Witz erklärt auch, warum sie im Film einen männlichen Vornamen trägt, abgesehen davon, dass ihrer Figur diverse männliche Züge angedichtet sind. Und die Moral von der Geschicht? Tja, die ist Gegenstand sich an den Film anschließender Gesprächsrunden.

Ach ja, da gab’s ja noch den Porno-Anteil. Wie schon im ersten Teil fällt der nicht so unangenehm auf, wie man erwartet hätte. Er gehört dazu und fügt sich ein. Es ist fast egal, ob man Geschlechtsteile explizit sieht oder die Bildausschnitte etwas diskreter gewählt sind. Denn wichtig sind die Geschichten, Ideen, Philosophien, Ansichten, die der Film transportiert. Das tut er mit einem schlüssigen Drehbuch (mit streitbarem Ende), das sich vortrefflicher erzählerischer Kniffe bedient. Immer etwa, wenn Joe mit ihrem Bericht undeutlich ist oder thematisch springt, greift Seligman stellvertretend für den Zuschauer ein und stellt klärende Fragen.

Im Oeuvre von Lars von Trier ist „Nymphomaniac“ ein ungewöhnlicher Film. Zwar sieht man filmisch seine Dogme95-Handschrift, aber sickert seine Depression nicht mehr so heftig durch und ist die Frau am Ende weder Opfer noch Täter, sondern stark. Sollte dies seinen Seelenzustand widerspiegeln, besteht Hoffnung, dass sein nächster Film vielleicht etwas leichtfüßiger wird. Zumindest ist „Nymphomaniac“ endlich mal wieder ein von-Trier-Film, den man sich öfter ansehen mag. Zum Beispiel in der Fünfeinhalb-Stunden-Version, die noch folgen soll.

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