Lukas Adolphi (Hg.) – Die cops ham mein handy – Lukas Adolphi 2017

Von Matthias Bosenick (02.02.2018)

Nur höchst selten bekommt ein Bestohlener jemals sein Eigentum zurück. Der Leipziger Designer Lukas Adolphi hatte das Glück, sein geklautes Mobiltelefon nach einiger Zeit von der Polizei wieder ausgehändigt zu bekommen. Inklusive eines zweiwöchigen SMS-Verlaufs des Diebes, und den veröffentlicht Adolphi nun sieben Jahre später als Büchlein. Der naturgemäß lückenhafte Gesprächsverlauf eines Schülers mit Freunden und Freundinnen gibt einen Einblick in eine befremdliche Lebensmoral, der man nicht ausgeliefert sein möchte: Die Shakespearschen Verstrickungen lesen sich zwar unterhaltsam, aber die unreflektierte Lebensweise macht Angst. „Die cops ham mein handy“ ist eine Sozialstudie, von der man hofft, dass sie ein Fake ist.

Im Vorwort schildert Adolphi den Hergang: Kaum aus der Bank getreten, fordern Jugendliche von ihm unter Gewaltandrohung Geld und Handy; eine traumatisierende Begebenheit. Den Chatverlauf des Diebes, den er nach Umbenennung sämtlicher Beteiligter Marco heißen lässt, abzudrucken, sei seine Art von Genugtuung, so Adolphi. Diese Chats stammen aus der Zeit vor Whatsapp und aus einem Milieu, mit dem man nicht den Planeten teilen mag: fragwürdige Moral, fehlende Reflexion, selbstverständliche Kriminalität. Und doch dreht sich das meiste der Chats um Liebe und Sex; eine verstörende und damit nicht lustige Kombination mit Blick auf die Gewalt, die nach Adolphis Erfahrung von Marco und Konsorten ausgeht.

Dieser Schüler Marco nun beendet für eine Neue die Beziehung mit seiner Freundin, und zwar per SMS. Seine fadenscheinigen Erläuterungen nimmt sie verständnisvoll hin und drängt auf den Erhalt einer Freundschaft. Derweil windet sich die Neue darum, das Neue mit Marco als Beziehung aufzufassen. Gleichzeitig bekommt er zwei Angebote für Dreiersex, von denen er eines, unter anderem mit der Ex, wegen der Neuen zunächst halbherzig ablehnt und das zweite später selbst anleiert; das Zustandekommen bleibt jeweils offen. Das zweite Themenfeld des Kleinkriminellen ist Geld, das er schuldet und das man ihm schuldet, sowie das gemeinsame Abhängen und am Rande beiläufig auch die Überfälle.

Beinahe alles diskutieren die Minderjährigen mit Verständnis füreinander, trotz gelegentlichen Insistierens. Geld kommt später? Kein Problem. Den Dreier nicht weitererzählen? Selbstverständlich! Denn, so das Fazit der Chatpartner: Allen ist Marco wichtig, er ist ein wertvoller Mensch, niemand will ihn verlieren. Und alle Chats, auch die mit den Jungs, enden auf „ild“, „Ich liebe dich“, oder „Kuss“. Der Leser indes kann diese Zuneigung nicht teilen und nur angewidert zur Kenntnis nehmen.

Nicht alle angerissenen Problematiken erfahren eine Auflösung, oftmals vergeht Zeit zwischen den Nachrichten, in der sich die Beteiligten offenbar treffen oder während der sie telefonieren. So entstehen Lücken und Cliffhanger, die natürlich auch eine Spannung erzeugen. Gern etwa hätte man gewusst, was einer der Minigangster von der Polizei für ein vermeintlich unintelligentes Schreiben bekommen hat. Auch ist nicht ganz eindeutig, warum zur Hälfte der Tonfall kippt: vom fast weichlich-emotionalen Miteinander zur distanzierten bis gleichgültigen Vulgarität.

Ein Glossar erläutert bekannte SMS-Abkürzungen; was fehlt, sind die Hinweise auf sächsische Sprachfeinheiten. „Meiner“ etwa ist offenbar eine typische Anrede unter Freunden, „heme“ heißt „nach Hause“. Ansonsten herrscht hier die übliche Ignoranz dem Dudengegenüber vor; man erwartete eigentlich sogar noch deutlich Schlimmeres. Wörter wie „ficken“ wiederum tauchen erst nach der Hälfte auf, davor gibt sich der Reigen sprachlich eigentümlich brav.

Man möchte sich nicht vorstellen müssen, dass man in der selben Welt lebt wie diese Figuren. Sie überfallen wahllos Menschen, um an Geld zu kommen, und finden nichts dabei. Sie haben Sex, mit wem sie wollen, und alle Beteiligten sind einverstanden. Allein der Gedanke, dass man jederzeit Betroffener von solch einer Moral sein könnte, lässt dem Leser kalte Schauer über den Rücken laufen. Hartes Pflaster Leipzig, oder existiert diese Parallelgesellschaft allerorts? Und ausgerechnet dort ängstigt man sich vor einer Parallelgesellschaft, die von Fremden ausgehen könnte.

Jedoch gibt es Indizien, die darauf hindeuten, dass das alles ein Fake ist. Trotz der Lücken ist die Dramaturgie des Büchleins weitgehend geschlossen, es ergeben sich Spannung und Sogwirkung. Ein zeitlicher Ablauf außerhalb des zweiwöchigen Chatverlaufs bleibt schwammig; unklar ist, wann Adolphi das Gerät zurückerhielt, warum der Dieb es nur zwei Wochen lang nutzte und warum der Herausgeber den Chatverlauf erst jetzt, sieben Jahre nach dem Diebstahl, zugänglich macht. Auch blendet er absichtlich den Ausgang des Gerichtsprozesses gegen den Dieb aus und ändert sämtliche Vornamen; das kann sowohl zum Persönlichkeitsschutz als auch gegen eine recherchierbare Verifizierung der Darstellung sein. Mit geringen Ausnahmen alle Beteiligten, inklusive „Mutti“, haben Marcos neue Handynummer, die er sich nur deshalb zulegte, weil „die cops“ ja sein altes „handy ham“. Das Schlussmachen kündigt Marco seiner Neuen gegenüber als direkte Aktion an, vollzieht es aber zum besseren Lesevergnügen per SMS. Der Netzbetreiber erfährt regelmäßige Nennung, das hat bei aller Authentizität hat den Beigeschmack von Sponsoring, ebenso von Seiten eines renommierten Verlages, dessen Layout Adolphi mit Ansage übernimmt. Nicht zuletzt dürfte der Designer Adolphi sich mit Marketing recht gut auskennen – und dank der mit der Veröffentlichung verbundenen Aufmerksamkeit den ein oder anderen neuen Auftrag erhalten haben.

Man kann nur hoffen, dass dies ein Fake ist, angesichts der unangenehmen Figuren in diesem Buch. Als entblößender Racheakt birgt das Traktat zwar einen gewissen Witz, den der als authentisch klassifizierte Inhalt aber im Halse stecken bleiben lässt. Nun ist „Die cops ham mein handy“ nun mal als Kunstprodukt in die Welt entlassen – als szenische Lesung kommt es exakt heute in Dortmund auf die Bühne, die Anlage zur Theaterinszenierung ist immanent. Und gar nicht so abwegig angesichts der an Shakespeare geschulten Irrungen und Verwirrungen. Adolphi sei es gegönnt, der Coup erfordert Respekt, ganz gleich, ob real oder nicht.

[Edit 04.01.2018] Kein Fake, sagt der Ersteller!