Jacques Palminger & 440 Hz Trio feat. Lydia – Live beim Festival Theaterformen, Gartenhaus Haeckel, Braunschweig, am 18. Juni 2014


Von Matthias Bosenick (19.06.2014)

Den subtilen Telefonterroristen ließ Jacques Palminger längst hinter sich. Als Musiker tat er sich hernach zumeist in Sachen Dub hervor, da kam 2012 die Information recht überraschend, dass er mit dem 440 Hz Trio ein Jazz-Album veröffentlichte. Bei dem Werk „Jzz & Lyrk“ bediente er sich auch für seinen Auftritt beim Festival Theaterformen. Eine zufriedenstellende Mischung: Zu dem launigen Mitwippjazz konnte man launig mitwippen, und die Leute, die wegen Palmingers gesprochenen Beiträge in den lauschigen Theaterpark kamen, hatten genügend Gelegenheit, sich vor Lachen zu krümmen. Das war Spaß mit Anspruch.

Jazz und Humor, das lässt zwar an Helge Schneider denken, aber Palminger ist anders, eher ein Paralleluniversum dazu: Er selbst musizierte auf der Bühne so gut wie nicht, im Gegensatz zu Schneider, und der Humor ist anders. Palminger ist ein einzigartiger Geschichtenerzähler. In seinem akzentuierten, genauen Stil performte er – übrigens ohne äh oder andere Füllwörter – pointenfreie, aber humorvolle Geschichten nach Art von Monty Python, brachte assoziative Betrachtungen dar, wurde kafkaesk, kryptisch, überspitzt philosophisch oder einfach nur wahnwitzig. Er erzählte etwa die Geschichte von dem Mann, der von einem Fernsehturm herunterspringt, und „der wie besessen war von der Vorstellung, diesen Tag nicht mehr zu überleben“. Höhepunkt war gegen Ende die Vorstellung seines fünfköpfigen Trios. Palminger dichtete den Musikern die absurdesten Biografien an, es war so komisch, dass nicht nur das Publikum sich krümmte, sondern auch der Künstler selbst nicht ernst bleiben konnte. Was ihm das gesamte Konzert über ansonsten gelang, auf eine fast aggressive Art, und das, obwohl er im blauen Hemd und ockerfarbenen Anzug mit der Tolle und dem Schnauzer fast so distinguiert aussah wie Dieter Meier von Yello, der so wohl nie aufträte. Mit Palmingers Humor übrigens kam nicht jeder zurecht: Viele Besucher verließen das Festivalgelände nach zwei, drei Stücken.

Es gab aber auch einige unter den Ehergehenden, die der Musik nichts abgewinnen konnten, weil er eben Jazz war. Oder so etwas Ähnliches. Eigentlich war die Musik viel zu poppig, um wirklich Jazz zu sein. „Großraumdiscojazz“ nannte es Palminger selbst am treffendsten. Mit Schlagzeug, Bass, Vibrafon, Fender Rhodes, Geige und zumeist wortlosen Gesangsbeiträgen sowie einem ordentlichen Tempo erinnerte die Musik bisweilen an Stereolab. Sämtliche Musiker spielten auf den Punkt, höchst versiert, und kein Wunder, scharte Palminger doch mit dem 440 Hz Trio erfahrene Leute um sich. Richard von der Schulenburg am Fender Rhodes stammt von den Sternen, Bassist John Raphael Burgess von Ja König Ja, Drummer Olve Strelow spielt in diversen osteuropäischen Progbands. Jan Heinemann am Vibraphon sowie Geigerin und Sängerin Lydia Schmidt sind zwar musikbiografisch unbeleckter, aber als Musiker nicht weniger professionell. Das Zusammenspiel war genau, es blieb Raum für jede Expertise, und doch war der Sound voll genug, um gefällig zu sein. Und das ganz ohne Blasinstrumente.

Wenig erstaunlich war nun, dass Unbedarfte den Ort verließen. Sehr wohl erstaunlich hingegen war, wen Palminger dann doch erreichte: Vom Punk über den Galeristen bis zum Radiohörer feierten Leute quer durch alle Geschmäcker den eigenwilligen Fabulierer. Der spielte lang, über anderthalb Stunden, in den Sonnenuntergang hinein, und entließ die ihr Zwerchfell haltenden Gäste in die Nacht, in der sie sich noch Getränke holten, zusammenstellten, miteinander sprachen und sich die soeben gehörten abstrusen Geschichten erneut durch den Kopf gehen ließen, vom Imbissbudenbetreiber, der ausschließlich im Handstand arbeitet, vom Kommissar, der aus dem Fenster springt, um eine Antwort zu vermeiden, worüber der Ich-Erzähler denkt: gutes Solo!, oder auch über Betrachtungen zum eigenen Leben, angelehnt an „It’s My Life“ von Dr. Alban, über Richard von der Schulenburgs eingedeutschte Version von „Ebony & Ivory“, über Olve Strelows Chanson-Einlage, über Esoterik, Schwangerschaft und Selbstmord. Über das pralle Leben also. Palminger dokumentierte es wie der Berichterstatter aus dem Unterbewusstsein. Ein großartiger Programmpunkt im gewohnt geschmackssicheren Programm des Festival Theaterformen.

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