Gusgus – Lies Are More Flexible – No Paper Records 2018

Von Matthias Bosenick (15.03.2018)

Das jüngste Album des isländischen Deep-House-Soul-Projekts Gusgus bedeutet erstmals seit elf Jahren beständiger Horizonterweiterung einen Stillstand. „Lies Are More Flexible“ verwaltet das herausragende musikalische Schaffen, ohne ihm Neues hinzuzufügen. Im Vergleich zur bisherigen Entwicklung wirkt dieses Album daher beinahe wie ein Schrumpfen und birgt den Ansatz von Enttäuschung. Aber bei der Qualität, die man dennoch vorgesetzt bekommt, ist die nicht angebracht. Chillig clubben geht trotzdem, zu Hause genießen auch und dabei Auto fahren sowieso.

Es hat den Anschein eines Umzugs, was Gusgus hier abbilden: Füllte die Musik zuvor noch problemlos Kathedralen, reicht jetzt die Bahnhofshalle einer mittelgroßen Stadt aus. Wo Gusgus zuvor noch himmelhohe Räume errichteten, begnügen sie sich jetzt damit, die Garage auszubauen. Viele Sounds und Arrangements sind aus dem jüngeren Oeuvre des Projektes bekannt, nur etwas weniger ausformuliert. Es wirkt oft, als hätten sich die Musiker vorgenommen, das Gleiche noch einmal, aber mit lediglich zwei Sounds pro Track zu kreieren.

Schon auf dem Vorgänger „Mexico“ deutete sich die Verknappung der bis dahin epischen Tracks zu funktionierenden Songs an. Hier nun behalten Gusgus die kürzeren Trackdauern bei, füllen die Zeit aber weder verlässlich mit den gewohnt effektiven hypnotischen Danceflächen noch mit catchy Songs (und erreichen nicht einmal 40 Minuten Gesamtspielzeit; ist ja nie ein Qualitätsmerkmal, aber!). So recht hängen bleiben mögen die Stücke leider nicht. Bedenkt man das eher spärliche Arrangement, sind die kurzen Dauern wiederum zweckdienlich, denn für länger passiert da etwas zu wenig. Auch sind die Beats und Bassläufe von geringerem Einfallsreichtum als zuletzt, also für Gusgus-Verhältnisse viel zu geradlinig, bisweilen zu technoid. Für sich genommen ist „Lies Are More Flexible“ dann dennoch ein gutes Album, schließlich wissen Gusgus, was sie tun, und sie können es besser als viele andere.

Das Spannende an Gusgus ist nämlich seit jeher, dass sie ihre Sounds analog generieren, was man auch deutlich heraushört und was den Unterschied zur ansonsten weitverbreiteten digitalen Tanzmusik macht. Die Gusgus-Musik ist wärmer, knackiger, herausfordernder und einnehmender. Kombiniert mit den zumeist im Midtempo gehaltenen Beats, kann man sich nur in die Stücke fallen lassen. Weitgehend funktioniert das auch auf „Lies Are More Flexible“, mit den genannten Einschränkungen.

In dieser Inkarnation ist Gusgus nicht nur zusammen und ohne Binnenkapitale geschrieben, sondern nur noch ein Duo. Daniel Ágúst Haraldsson und Birgir Þórarinsson gehören zwar zu den zwölf Bandgründern von 1995, aber Ágúst, der jetzige Hauptsänger mit der souligen Stimme, war zwischendurch auch mal gar nicht mit an Bord. Hier bekommt er bei einem Track übrigens Gesangshilfe von John Grant, dafür fehlt jetzt Högni Egilsson, der erst 2011 für „Arabian Horse“ dazukam und noch 2014 bei „Mexico“ mitmachte.

Sammelt man die Informationen, die das Internet so hergibt, dann liegt der Bandgründung ein Filmdreh zugrunde, für den die zwölf Leute – darunter auch Emilíana Torrini – damals spontan einen Soundtrack komponieren wollten, was dann 1995 im nur in Island erschienenen Debütalbum „Gus Gus“ gipfelte. Aus dem Film indes wurde nichts. Kurioserweise tauchten einige der Stücke vom Debüt auch auf dem 1998 international auf 4AD erschienenen Nachfolger „Polydistortion“ auf – und stammen eigentlich sogar von einem Vorläuferprojekt namens T-World, dem einige der Bandmitglieder angehörten und dessen Aufnahmen im Jahr 2000 als gemeinsames Ambient-Album von GusGus und T-World herauskamen. Der Bandname Gus Gus übrigens geht auf Rainer Werner Fassbinders Film „Angst essen Seele auf“ zurück, in dem eine Figur Couscous so ausspricht.

Als kleine Seltsamkeit am Rande veröffentlichen die Isländer dieses Album, sofern nicht als Download, dann ausschließlich in Polen auf CD und im Gegensatz zu „Mexico“ gar nicht auf Vinyl. Auf die Liveumsetzung dieses Albums darf man jedenfalls gespannt sein – vielleicht erreichen die Stücke dann wieder Kathedralenausmaße.