Faith No More – Sol Invictus – Reclamation! Records/Ipecac 2015; Tētēma – Geocidal – Ipecac 2015

Von Matthias Bosenick (25.06.2015)

Faith No More sind ohne Jim Martin einfach nicht mehr Faith No More. Die Crossoverpioniere verkrafteten den Wechsel von Chuck Mosley zu Mike Patton am Mikro deutlich besser als den von Jim Martin zu wem auch immer an der Gitarre. Der jetzige spielt einfach nur Gitarre, Jim Martin hatte Seele, Fläche, Atmosphäre, Charakter, einen eigenen Sound, egal, ob bei Pop, Funk oder Death Metal. Da war selbst Pattons Seitenprojekt Tomahawk bisweilen dichter an den klassischen Faith No More, als die es nach Martins Ausstieg waren. Und nach 18 Jahren Pause nun wieder sind. Da es einigermaßen offenbar ist, dass trotz einer Leadsingle mit dem Antititel „Motherfucker“ natürlich vorrangig kommerzielle Beweggründe zu „Sol Invictus“ (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen nationalsatanistischen Band) führten, und nicht eben kreative, bringt Mike Patton nahezu parallel mit „Geocidal“ ein sehr gegensätzliches, höchst experimentelles Album mit seinem neuen Freejazz-Projekt Tētēma heraus. Beides zusammen wäre vermutlich ein richtig geiles Album.

Sicherlich, auf „Sol Invictus“ gibt es Lieder, deren Sound bis weit in die 80er zurückragt. Das Piano in „Superhero“ hätte es so sicherlich vor 30 Jahren auch auf „We Care A Lot“ schon gegeben. Doch genau bei diesem Stück wird exemplarisch deutlich, wie groß der Unterschied zum letzten großen Werk „Angel Dust“ ist: John Hudsons Gitarre ist charakterloses Beiwerk. Imaginiert man sich einen Jim Martin dazu, klänge die Gitarre aus, erschüfe sie Universen, ließe Sounds zu Supernovae anschwellen. Bei Hudson klingt die Gitarre abgehackt, spröde, trocken, gebremst, versenkt, und das wirkt sich in gleichem Maße auf den Gesamtsound der Songs aus. Ihnen fehlt schlichtweg die Atmosphäre. Das war auch schon auf dem ersten Album mit Hudson so, „King For A Day, Fool For A Lifetime“. Sicher, wenn man weiß, dass Martin nach „Angel Dust“ ausstieg, weil er mit der Entwicklung des Bandsounds nicht mehr einverstanden war, und sich dann sein folgendes, eher schwachbrüstiges Soloalbum „Milk And Blood“ anhört, weiß man, dass Faith No More auch mit ihm nicht die alte Klasse behalten hätten. Zusätzlich dazu ist auch noch Roddy Bottums Keyboard ebenso arg zurückgenommen. Steuerte er auf den ersten drei, vier Alben noch den Kitt bei, der den Songs das i-Tüpfelchen an großflächigem Zusammenhalt gab, ist er auf „Sol Invictus“ fast gar nicht mehr zu hören. Das Ausufernde fehlt ohnehin, die Stücke sind trotz ihrer überwiegenden Unkonventionalität sehr kompakt. Einzig „Matador“ und eben „Superhero“ überschreiten mal die Fünf-Minuten-Marke, das ganze Album ist keine 40 Minuten lang.

Natürlich ist es schön, dass von der alten Bande tatsächlich alle aus der letzten Besetzung auch hier wieder mit an Bord sind. Neben Patton, Hudson und Bottum sind dies Schlagzeuger Mike Bordin und Bassist Billy Gould. Gegen Pattons Stimmakrobatik ist ohnehin nichts einzuwenden. Er growlt, croont, schreit, singt klar, wispert, spuckt Plosivlaute, hyperventiliert, und all das in größerem Umfang als zu aktiven Faith-No-More-Zeiten, weil er sich in der Zwischenzeit einfach in tausenden Projekten verwirklichen konnte. Alleine dafür lohnt sich „Sol Invictus“ schon, und bei aller Enttäuschung über die großen Unterschiede zu den alten Faith No More muss man auch festhalten, dass „Sol Invictus“ für sich gesehen ein gutes Rockalbum ist. Die Jungs haben gute Ideen, scheren sich um Konventionen, arrangieren sich um Kopf und Kragen, mit Kastagnetten, Chören, Mundharmonikas. Kommerziell ist „Sol Invictus“ also nicht vordergründig wegen der darauf enthaltenen Musik, sondern wegen des aufgedruckten Bandnamens. Dennoch: Wegen „Sol Invictus“ allein würde man wohl eher nicht zum Faith-No-More-Fan werden.

Trotz der Unkommerzialität von Faith No More tobt sich Patton in seinem neuesten Nebenprojekt Tētēma musikalisch sogar noch weitaus experimenteller aus. Es ist nicht so schlimm wie „She“ von Maldoror, da auf „Geocidal“ tatsächlich songähnliche Strukturen zu hören sind, doch trägt der Umstand Rechnung, dass sein Kooperationspartner Anthony Pateras ein eigenwilliger australischer Freejazzkomponist ist, der als sein Lieblingsinstrument das präparierte Klavier nennt.

Hier wirft Patton alles zusammen, womit er seine treue Hörerschaft in den vergangenen 20 Jahren herausforderte: unrhythmisches Geschrei, als Polyrhythmik verkleidetes taktloses Poltern, industrielle Noisesounds, vermeintlich willkürliche Stimmakrobatik, flirrende Hintergrundeffekte, durchsetzt mit Wohlfühlsounds aus dem Ambientregal, groovenden Jazz-Beats, klarem Gesang, Glockenspiel, Trompete, was auch immer. Und hey: Was zunächst anstrengend, verwirrend und undurchsichtig erscheint, offenbart recht schnell eine eigene Atmosphäre, etwas enorm Einnehmendes, mit etwas Eingewöhnung sogar Positives, Wohliges. Auf „Geocidal“ erklingt keine einfache Musik, sie ist nicht einmal so nachvollziehbar, wie es der frühe Free Jazz vergleichsweise war. Und trotzdem, man bringt nicht nur Verständnis für das auf, was da passiert, sondern große Zuneigung. Das liegt vermutlich auch daran, dass die Strukturen zwar ungewöhnlich sind, es aber kein übertrieben unübersichtliches instrumentales Durcheinander gibt. Man muss natürlich ein Faible haben für Horrorfilmsoundtracks oder so etwas. Natürlich erfindet auch ein Mike Patton das Rad nicht neu, man entdeckt seine Inspiration etwa bei Frank Zappa, den Residents, Sun Ra und anderen. Aber das macht nichts, Patton bleibt er selbst, mindestens aufgrund der charakterstarken Stimme.

„Geocidal“ ist nur eine Minute kürzer als „Sol Invictus“. Man müsste mal jemanden mit zwei Plattenspielern fragen, was dabei herauskommt, wenn man beide Alben gleichzeitig abspielt. Und à propos Plattenspieler, beide Alben kommen mit Download-Code. Und übrigens lohnt es sich, sich auch die anderen Projekte einiger Faith-No-More-Mitglieder anzuhören, besonders Imperial Teen von Keyboarder Roddy Bottum.