Die schönste Zeit unseres Lebens (La belle Époque) – Nicolas Bedos – F 2019

Von Matthias Bosenick (06.12.2019)

Hinter diesem einfältigen deutschen Titel verbirgt sich einer der brillantesten Filme des Jahres: vielschichtig, komplex, schwarzhumorig, zynisch, romantisch, herzenswarm, böse, einfallsreich, temporeich, lustig. Wer das Drehbuch schrieb, verdient allen Respekt; allein das kurze Nacherzählen ist schon schwierig. Liebesdrama mit inszenierter Zeitreise, könnte man sagen, und wird diesem Knaller nicht gerecht. Wichtig: Hitler kriegt aufs Maul! Franzosen können also auch Komödien abseits des Mainstreams.

Der frühere Karikaturist Victor altert von der modernen Technik abgewandt an der Seite der lebenshungrigen Marianne, die ihn unversehens vor die Tür setzt. Der Sohn der beiden aktiviert seinen cholerischen Freund Antoine, der ein Unternehmen leitet, das Kunden für viel Geld inszenierte authentische Zeitreisen in alle erdenklichen Epochen anbietet, damit Victor den Boden wieder unter die Füße zurückbekommt. Der wünscht sich zurück ins Jahr 1974, in das Café „La belle Époque“, in dem er Marianne erstmals traf, und Antoine installiert seine stinksaure Ex Margot in der Rolle der Marianne, während die Echte ihr Verhältnis mit Victors bestem Freund auslebt.

Hier tragen also zwei Paare ihre Fehden aus, die aufgrund der räumlichen Vermengung übereinanderlappen; Margot richtet etwa ihre Dialoge mit Victor partiell an den zuhörenden Regisseur Antoine. Ungewöhnlich ist indes die Kulisse für all das, schließlich sitzt Victor mit seiner Schein-Marianne in einem Rauchercafé, das exakt so aussieht wie 1974, mit dem nachgestellten Personal in authentischer Kleidung, der passenden Musik, sogar dem womöglich zutreffenden Wetter und den obligatorischen Drogen. Auf diese Weise verbindet der Film Zeitreise und Gegenwart im Hier und Jetzt, und man staunt, wie virtuos dies gelingt.

Dazu umgibt die beiden Paare ein bunter Reigen von Charakteren, die ihrerseits ihre Anliegen ausleben und zu den brillanten Dialogen ihre Beiträge leisten. Wie oft jemand von der Seite einen sarkastischen Kommentar abgibt, der die gewöhnlichen Gespräche ironisch torpediert („Schade, dass er nicht da ist, ich hätte gern auf der Rückfahrt mit ihm über euch gelästert“). Dabei sind Tempo und Schlagzahl der Pointen sehr hoch, aber nicht überfordernd. Zumindest findet man sich nach einer Weile sehr in das Szenario ein und fühlt alsbald mit den Figuren. Jedoch muss man sich an das permanente Thema Sex gewöhnen, das dem Film einen leichten Schmuddelfaktor verleiht. Fremdgehen ist dabei üblich, aber verpönt; diese Ambivalenz trifft den gegenwärtigen gesellschaftlichen Zeitgeist indes recht gut.

Bestens gezeichnet sind die persönlichen Veränderungen, die die Ereignisse bei den Charakteren auslösen. Handlungen sind nachvollziehbar, Entwicklungen ebenfalls, und dank der Zeitreise auch noch historisch begründet. Zudem stimmen hier Schnitt und Kamera, Musikeinsatz sowieso, Tempo – auch das gelegentlich reduzierte hat seine Berechtigung –, die grandiosen Darsteller und vor allem das Drehbuch. Das behält sich überdies vor, nicht jede Inszenierung auch zu entschlüsseln; die polnische Geigerin und die Familienmutter etwa erweitern den Realitätsebenenkosmos der Handlung auf rätselhafte, aber zwingende Weise.

Zudem ist es erfrischend, das abgedroschene Liebesthema aus der seltenen Sicht derer zu zeigen, die es seit 40 Jahren erleben, kombiniert mit dem Rückblick auf das, was andere Filme zum Thema haben, nämlich das erste Treffen. In der ganzen Abwicklung nehmen die Autoren jeden sich anbietenden Gag am Wegesrand mit und geben ihm einen treffsicheren Platz im großen Ganzen. Dies dürfte einer der intelligentesten Filme der jüngeren Zeit sein.