Cavalera Conspiracy – Psychosis – Napalm Records 2017

Von Matthias Bosenick (31.01.2018)

Sieht so aus, klingt aber nicht so: Vom Tribal-Metal der alten „Roots”-Zeiten mit Sepultura, an denen beide Cavalera-Brüder Max und Igor vor 21 Jahren so erfolgreich beteiligt waren, ist auf dem vierten gemeinsamen Album der Conspiracy nichts zu hören. Aber auch vom eingängigen Thrash nicht: Sperrig ist wohl das Wort, das „Psychosis“ noch am besten trifft; Eingängigkeit stand auf der Agenda nicht so weit oben wie Brutalität. Dennoch klingt das Ergebnis nicht wie ein dumpfer Schlag ins Gesicht, sondern trifft eher den Bereich dahinter.

Mit Metal kann man grooven, ohne platt zu sein, also ohne Mithüpfrhythmen und Singalongs. All solches war aus dem Hause Cavalera seit „Ratamahatta“, dem größten Hit von Sepultura, immer wieder zu hören, auch bei Soulfly, Maxens anderer Band, und meistens trotzdem erträglich, weil weniger weinerlich als von den handelsüblichen NuMetal-Kindern. Man könnte auf „Psychosis“, das solche Songs ausspart, also die Indieclubtauglichkeit vermissen. Oder sich über das freuen, was man stattdessen bekommt: ein sperriges Brett mit unerwarteten atmosphärischen Oasen, das aber auf seine Weise ebenfalls groovt.

Damit, dass Max und Igor Cavalera die Hittauglichkeit zurücknahmen, besinnen sie sich auf ihre Roots vor „Roots“: auf die frühe Zeit von Sepultura, Nicht zufällig wohl gehören Psychose und Schizophrenie in ähnliche Krankheitskategorien. Hier haben Thrash und Death nicht den Blick auf bessere Verkaufbarkeit gerichtet, beziehungsweise: Die Abwesenheit der Angepasstheit spricht Metalhörer an, die es musikalisch weniger oberflächlich mögen.

Erstaunlicherweise gibt es die Tendenz zu einer komplexen Brutalität dieser Tage auch bei jüngeren Bands; die Cavaleras bedienen also als alte Leute ein junges Publikum und verschaffen sich mit „Psychosis“ neuen Respekt. Ein reines Genre als musikalische Ausrichtung überzeugt nicht mehr, hier dürfen sich daher Thrash und Death erweitern, um Anteile aus Hard- und Grindcore, latentem Black Metal und dem, was in Nordamerika unter Industrial verstanden wird, also elektronischer Unterfütterung, nur nicht so plakativ wie noch mit Nailbomb. Was Wunder, ist doch Justin Broadrick an „Hellfire“ beteiligt, und der produziert seit seinem Weggang bei Napalm Death unter anderem mit Godflesh elektronischen Metal. Ein weiterer Elektrohinzufüger auf diesem Album ist Dominick Fernow, der in ebenso vielen Projekten wie Broadrick herumexperimentiert, hauptsächlich als Prurient.

Nachdem die Brüder die erste Hälfte des Albums über die Keule schwangen, überrumpeln sie die Kopfnicker also mit atmosphärischen Breaks. Insbesondere mit dem Titeltrack, einer Zusammenarbeit von Igor Cavalera und der DJane Laima Leyton als Duo Mixhell, und dem finalen „Excruciating“ überraschen die Cavaleras ihre Hörer, denn manche Sequenzen klingen nicht nur im Vergleich zum Vorangegangenen wie schönste Popmusik. Und zwar wirklich schön, was dem Album eine besondere Note verleiht und es nicht etwa konterkariert. Der Einsatz von Didgeridoo und Mundharmonika kurz vor der Auslaufrille sind die einzigen Hinweise auf „Roots“, ansonsten wirkt „Psychosis“ wie ein neues Kapitel im Sound der Cavaleras. Eines, das man gern immer wieder aufschlägt.