Aphex Twin – Blackbox Life Recorder 21f / in a room7 F760 – Warp Records 2023

Von Matthias Bosenick (05.10.2023)

So hätte es vermutlich geklungen, wenn der Richard D. James von heute seinen Aphex-Twin-Glitch in den Achtzigern schon produziert hätte: Die EP, deren gewohnt kryptischen Titel „Blackbox Life Recorder 21f / in a room7 F760“ man länger zu lesen braucht als die vier Tracks zu hören, ist erfreulich rhythmisch und trotz der angewandten Manipulationen entspannt hörbar. Es sind melodische Tracks, die man sich im Radio dennoch nicht vorstellen kann, dafür bastelt der Ire da viel zu viel dran herum, aber er baut Sounds ein, die man aus dem Synthiepop der Achtziger kennt. Wie man diese Tracks damals wohl aufgenommen hätte? Auf Kassette!

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The Smile – Europe: Live Recordings 2022 – XL Recordings 2023

Von Matthias Bosenick (05.10.2023)

Die dreiköpfige Supergruppe The Smile ist mehr als nur ein hochkarätiges Studioprojekt, die Briten können ihre Kunstrockmusik auch live darbieten, und wer im zurückliegenden Jahr die Konzerte verpasste, bekommt die Möglichkeit, auf dieser 12“ einiges nachholen zu können. Fünf der sechs Songs sind dem Debütalbum „A Light For Attracting Attention“ entnommen, eines, „Feelingpulledapartbyhorses“, ist ein von Jonny Greenwood komponierter Radiohead-Song, den Sänger Thom Yorke 2009 als Solo-Single herausbrachte. Diese EP präsentiert nun auf der A-Seite die knackigeren Stücke, die Songs sind nervös hektisch und eignen sich besser zum Durchhören als das Album, und auf der B-Seite die gebremsten Experimente, denen man sich in aller Ruhe widmen muss. Kurios: Aus den Streaming-Angeboten ist die EP wieder verschwunden, man muss also schon die limitierte Vinyl-12“ haben.

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Automat – Heat – Compost 2023

Von Matthias Bosenick (29.09.2023)

Was macht man in der Hitze für Musik an? Chillige, trippige, dubbige am besten. Also „Heat“ von Automat, der Indie-Supergruppe minus Jochen Färber, der nicht mehr mitspielt. Dafür gibt’s einen Stapel anderer Gäste, die in Wort und Ton das Ihrige zu dieser organisch-elektronischen Reggae-Dub-Downbeat-Kopfnick-Chillplatte beitragen. Bassist Zeitblom, Schlagzeuger Achim Färber und Keyboarder Max Loderbauer fläzen sich am Jamaikanischen Strand, den sie eigens in einem Berliner Club aufhäuften, und knabbern an einem Toast aus London. Hier haben sogar die bunten Getränke ein Echo. Und die Musik ist so warm wie der Titel des Albums, das es physisch überdies ausschließlich als Doppel-LP gibt.

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Spear Of Destiny – Ghost Population – Easterstone 2022/2023

Von Matthias Bosenick (22.08.2023)

Kirk Brandon macht einfach verlässlich gute Musik, egal, mit welchem Projekt, ob Theatre Of Hate, Dead Men Walking oder Spear Of Destiny. Von letzterer Band gibt’s aktuell mit „Ghost Population“ eine neue LP, mit Rockmusik, melancholisch und kraftvoll, sehr melodisch und gesanglich inbrünstig, der Mann hat aber auch eine unverwechselbare, ausdrucksstarke hohe Stimme. Man kann es nicht weniger lieben als jedes andere Stück Musik, an dem Brandon beteiligt ist. Und so recht musikalisch voneinander trennen kann man seine Projekte auch nicht, aber das macht nichts, man bekommt immer Qualitätsmusik aus dem Londoner Postpunk-Waverock-Umfeld. Er hat ja auch immer versierte Leute mit dabei.

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Man On Man – Provincetown – Polyvinyl Records Company 2023

Von Matthias Bosenick (04.08.2023)

Kaum in Kalifornien angekommen, um die sterbende Mutter des einen zu begleiten, zwang Corona das New Yorker Paar Roddy Bottum und Joey Holman in die Isolation – wie fast alle Menschen der Erde, klar. Aus der Not gebaren die beiden Musiker ein On-The-Road-Recording-Projekt, nannten es Man On Man und behandelten auf dem selbstbetitelten Debüt schwul-queere Themen zu süßen Melodien und gitarrenunterfüttertem Electro-Poprock. Zwei Jahre später gibt’s mit „Provincetown“ Nachschlag, im ähnlichen Sound, doch mit einer weniger hellen Stimmung. In der vermeintlichen Süßlichkeit mancher Arrangements und Melodien liegt etwas nicht immer nur unterschwellig Aggressives, etwas Melancholisches, etwas Genervtes. Gut so: Eine pure Hedonismusplatte wäre ja auch nicht zu ertragen gewesen. Auch wenn sie Babyblau ist.

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Andris Zeiberts – Jazzkeller – Bartling Schallplatten/JAW Records 2023

Von Matthias Bosenick (24.07.2023)

Man kann es nicht anders sagen, aber nach Carsten Bohn hatte einfach jeder Schwierigkeiten, mit seiner Hörspielmusik, nicht nur für das Europa-Label und Hauptserien wie Die drei ???, Fünf Freunde oder TKKG, an dem grandiosen Oeuvre des Frumpy-Schlagzeugers anzuknüpfen und trotzdem eine eigenen Note einzubringen. Seit fast 30 Jahren trägt Andris Zeiberts nun Musik nach Europa, und weil das Interesse an Hörspielmusik ungebrochen groß ist, bringt er seine Beiträge jetzt ebenfalls gebündelt heraus. Aus Platzgründen schaffen es leider nur 14 von 24 Tracks auf die Vinyl-Version, aber da Zeiberts und sein Herausgeber Felix Bartling wissen, was die Leute wollen, lassen sie die Tracks weg, die nicht direkt mit den Drei Fragezeichen verknüpft sind, und ermöglichen den Zugriff auf das alles den Rest wenigstens per Download. Der Titel „Jazzkeller“ sagt überdies schon aus, dass Zeiberts‘ Musik der von Bohn noch recht nahe kommt: Hier stecken mehr gespielte Instrumente drin als in den rein elektronisch erzeugten Soundtracks der Kollegen. Und ja, die Stücke der LP kennt man alle, sofern man Hörspiele hört, zum Teil auch schon von der Neuauflage der Drei-Fragezeichen-Folge 29, „Die Originalmusik“.

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Meat Beat Manifesto & DHS – Man From Mantis – Love Love Records 2023

Von Matthias Bosenick (18.07.2023)

Die kreuzatlantische Zusammenkunft findet ein Update: Jack Dangers als Meat Beat Manifesto aus Swindon in England und sein langjähriger US-amerikanischer Freund Benjamin Stokes alias Dimensional Holofonic Sound, also DHS, aus San Francisco plündern auf den vier Tracks dieser 12“ ihre eigene elektromusikalische Vergangenheit und generieren etwas Zukünftiges daraus. 808-Acid-Sounds, Breakbeats, 70er-Vocoder, trockene House-Beats, Kraftwerk- und Aphex-Twin-Anleihen, alles drin, was man von beiden und sonst so aus der synthetischen Welt kennt, seit mindestens 40 Jahren und über das gemeinsame Projekt Tino hinaus.

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Moon’s Mallow – Out Of The Foxholes – Gioia Coppola 2023

Von Matthias Bosenick (29.06.2023)

Das geht aber flott bei den Italienern: Drei Alben in drei Jahren! Auf „Out Of The Foxholes“ vertiefen Moon’s Mallow ihre Ausrichtung, die weniger nach Apulien als nach englischen Pubs klingt, nach einem bewegten Indierock, dem Emotionen so wenig fremd sind wie Ausflüge ins Folkige oder Psychedelische sowie eine virtuose Musikalität. Moon’s Mallow schmecken eher nach Bier als nach Wein, eine erfreuliche Nähe zu Luke Haines und The Auteurs lässt sich abermals nicht von der Hand weisen. Bandchef Gioia Coppola singt in mittelhoher Tonlage enorm ausdrucksstark und energetisch, schaltet aber, sobald erforderlich, auch mal ins Wispern um. Orgeln, Flöten und Streicher finden ihren Platz, die Stimmungen wechseln, und auch wenn es nie heavy wird, rockt es doch reichlich. Und macht Durst.

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Afsky – Om hundrede år – Vendetta 2023

Von Matthias Bosenick (19.06.2023)

Ole Luk hat keine Angst davor, Akustikgitarren in den Black Metal einzubauen. Schön auf die Zwölf gibt’s natürlich trotzdem, auch wenn er sich unter dem Ein-Personen-Solo-Alias Afsky mit einem Bein in den postmodernen Post-Black-Metal-Gefilden herumtreibt; das andere hat er in der Tradition verankert. Heißt, dass er sehr wohl die Blastbeats und das Gekeife beherrscht, aber das Tempo insgesamt gedrosselt hält und mit den elektrifizierten Gitarren atmosphärische Flächen generiert und damit untermauert, dass seine Variante von Black Metal ausgesprochen emotional behaftet ist. Dazu trägt bei, dass Luk ein versiertes Händchen für Harmonien hat, die er in seinen Lärm kleidet, den er wiederum mit komplett zurückgenommenen Sequenzen unterbricht. „Om hundrede år“ ist tiefdunkel und in seiner heavy Verzweiflung wunderschön. Der Vorgänger „Ofte jeg drømmer mig død“ legte die Qualitätsmarke für grenzüberschreitenden Black Metal ja sehr hoch, Afskys drittes Album reißt sie gottlob nicht ein.

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Turnstyles – 2 – Black And Wyatt Records/Head Perfume Records 2023

Von Matthias Bosenick (07.06.2023)

Die beiden haben ordentlich Feuer unterm Hintern. Gitarrist Seth Moody und Schlagzeuger Graham Winchester scheppern sich die Seele aus dem Leib, und dem Hörenden gleich mit. In satten 30 Songs auf diesem Doppel-Vinyl loten sie die wahnwitzig breite Palette zwischen Garage, Surf, Punk, Rock’n‘Roll und diversen Retro-Sounds der Fünfziger bis Siebziger aus. In irgendwas Allgemeingefälliges driftet das Duo aus Memphis trotz eingestreuter hübscher Melodien und wohltönender Akkorde nie ab, dafür hat es zu viel Freude am Krach. Natürlich fehlt hier ein Bass, um den Songs akustisch Tiefe zu verleihen, doch gleichen die beiden beseelten Musikanten das mit versierter Virtuosität aus, will heißen: Sie lassen mit Stimmen, Twang, Groove und Trommelwirbeln keine Lücken entstehen. Volle Energie auf dem schlicht „2“ betitelten zweiten Album.

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