Bob Dylan – Rough And Rowdy Ways – Columbia Records 2020

Von Matthias Bosenick (20.07.2020)

Die lebende Legende™ hat ein neues Album: Bob Dylan (79) bringt mit „Rough And Rowdy Ways” seine 39. Studioplatte seit 1962 heraus. Die ist voll schön geworden, vornehmlich besinnlich und langsam, dennoch frisch, kraftstrotzend, agil, mit Oldschoolmitteln auf das Amerika (also die USA) der Gegenwart blickend. Über die Texte des Literaturnobelpreisträgers sollen sich die Dylanologen (eine Art Donaldisten für Robert Zimmerman) auslassen, man kann die Doppel-CD auch ohne deren Entkryptung genießen.

Nur dreimal in zehn Songs auf 70 Minuten zieht Dylan mit seiner Band das Tempo an, dann kehrt er nämlich zurück zum Blues, zu sich selbst („Rainy Day Woman“ klingt dann an) und zu dem, was man an nordamerikanischer Musik sonst noch so kennt, Country, Folk, und das wiederum gilt auch für die anderen Songs, die eher stillen, zurückgenommenen, die seine Begleitmusiker auf eine Art und Weise untermalen, dass man eben mehr zu hören bekommt als nur eine Tapete für einen Wortmagier, nur eben weniger flott. Man sollte sich die Musik von Bob Dylan anhören, sie ist sehr gut und sie ist es wert und man bekommt es mit Künstlern zu tun, die wissen, wie man sein Instrument zu bedienen hat und wie man Wortkaskaden begleitet, ohne sie zu übertünchen oder so sehr in den Mittelpunkt zu rücken, dass man Piano, Akkordeon, Geige, Gitarre, Bass, Schlagzeug gar nicht mehr heraushört. Es ist eine Rock’n’Roll-Platte, kein unterdudeltes Hörbuch.

Dylans Stimme klingt wie eh und je, rauh, gleichzeitig grantelnd und zart, bestimmt, nicht nach einem alten Mann, der er nun mal ist. Natürlich kann man ihm vorwerfen, dass er nicht singen kann, ebenso wenig, wie er seine Mundharmonika beherrscht, die er hier gar nicht so einsetzt, wie man es aus den Songs kennt, über die dann gleich gelästert wird. Klar, Dylan muss man mögen, und wenn man ihn bereits mag, ist der Zugang zu „Rough And Rowdy Ways“ ein sehr sehr leichter. Mit dieser warmen Musik als Bett für seine Worte.

Über die sollen sich andere Gedanken machen. Klar, Dylan zitiert sich den Wolf, das Covermotiv stammt aus den Sechzigern oder so, der Titel von Jimmy Rodgers („My Rough And Rowdy Ways“), und doch ist Dylan kein Gestriger, er kennt sich aus mit der Gegenwart und mahnt, dass diese aus der Zukunft eine negative welche machen werde, sollte es so weitergehen; das sind aber alles Infos, die sich beim schlichten Musikgenuss nicht erschließen, da muss man zuhören, Lexika wälzen, sich mit Shakespeare und Griechischer Mythologie auskennen, mit aktuellen US-Charts sogar, der Mann hat einen gigantisch weiten Blick, und aber wenn man den nicht auch hat, macht das Album trotzdem Spaß.

Lustigerweise klingt das Album weit weniger veraltet als die drei davor, auf denen Dylan das Repertoire von Frank Sinatra und des Great American Songbook plünderte. Da war die Musik gefällig und glatt, es schien, als habe Dylan den Biss verloren. Hat er aber nicht, er hat offenbar nur Schwung geholt, für sein – Sensation! – erstes Album mit eigenen Songs seit 2012, „Tempest“ hieß das, und mit „Rough And Rowdy Ways“ setzt er die Linie fort, die er 1997 mit „Time Out Of Mind“ startete, seinem Spätwerk sozusagen, das überhaupt nicht spät klingt, sondern überraschend frisch, agil, lebensfroh, jetzig. Dylan wirkt, als sei er sich seiner Präsenz bewusst, als stünde er in einer Brandung, die er sich von seinen Musikern erschaffen lässt, als sagte er, seht her, hier bin ich, und ich habe viel zu sagen, bin relevant, wie immer, und immer wieder und immer weiter, und das mit einer beeindruckenden Leichtfüßigkeit.

Zu diesen Mitmusikern gehören übrigens Sängerin Fiona Apple, Tom Pettys Heartbreaker Benmont Tench, Schlagzeuger Matt Chamberlain, der schon für Soundgarden, David Bowie, Bruce Springsteen, Tori Amos und Millionen anderer Helden und Nonhelden trommelte, sowie Dylans Langzeitbegleiter Charlie Sexton (seit 20 Jahren) und Tony Garnier (seit 30 Jahren). Und die haben alle Bock auf Muckemachen, so richtig fett, wenn sie sich auch dem Gesamtsound unterordnen und es nicht übertreiben, also nicht ausbrechen, wenn es nicht angeraten ist, und so halten sie es eben auch durch, 17 Minuten lang einen einzigen Song zu spielen, die Moritat „Murder Most Foul“, ebenfalls ein Zitat, die Dylan ganz überraschend vorab der Welt schenkte, als Single, als erste seit der Verleihung des Nobelpreises, als erste Eigenkomposition seit 2012, bla bla bla. Hey, „Rough And Rowdy Ways“ ist ein geiles Album, wenn man Bock auf solche Mucke hat und es verknusen kann, dass es mal keine Partyplatte ist!