Anna von Hausswolff – Live At The Montreux Jazz Festival – Southern Lord 2022

Von Guido Dörheide (30.01.2022)

Es ist ja irgendwie nur das halbe Vergnügen, wenn Anna von Hausswolff nicht singt. Wie z.B. auf ihrem 2020er Album „All Thoughts Fly“, das trotzdem unglaublich gut ist und auf dem sie aus der Kirchenorgel alles herausholt, was drin ist.

Jetzt gibt es „Live at Montreux Jazz Festival“, und da singt sie dann auch wieder. Und holt aus ihrer Stimme alles raus, was drin ist. Bei der Aufnahme handelt es sich um einen Auftritt aus dem Jahr 2018 (als supporting act [„Vorgruppe“ wäre dem, was auf diesem Album passiert, nicht annähernd gerecht geworden] für Nick Cave and the Bad Seeds), so dass hauptsächlich Songs von dem im selben Jahr erschienenen Album „Dead Magic“ vertreten sind, was aber nichts macht, denn das Album ist ganz hervorragend. So auch „Live At The Montreux Jazz Festival“.

Die Songs von „Dead Magic“ sind in der Live-Version teils länger, teils kürzer und – wie ich finde – vom Gesang her etwas intensiver und bedrohlicher klingend. Erster Höhe- und vielleicht Mittelpunkt (Mitten und Höhen gleichzeitig, wieder mal bleiben die Bässe außen vor :-)) ist aus meiner Sicht die 19-minütige Version von „Ugly And Vengeful“, das für meine Begriffe klarer strukturiert wirkt (kann aber auch Einbildung sein), der Part mit den hypnotisch-monotonen Drums gegen Ende kommt druckvoller und härter rüber; die Verbesserungen sind oft minimal, aber spürbar. Das Eröffnungsstück „The Truth, The Glow, The Fall“ wurde um das Intro gekürzt und auch ansonsten leicht gestrafft, das Schlagzeug setzt früher ein und gibt der Künstlerin und dem Publikum die Möglichkeit, gleich in die wunderschöne, getragene Melodie des Hauptthemas einzutauchen, ohne aufgrund des langen, leisen Original-Intros erstmal minutenlang abwarten zu müssen, was sie hier erwartet.

Anna von Hausswolff setzt ihre Stimme teilweise etwas anders ein als auf dem Studioalbum, so mischt sich beispielsweise öfter als im Studio ein leichtes heiseres Krächzen in den ansonsten klaren und kräftigen Gesang. Das hört sich nicht so an, als würde die Sängerin es nicht besser hinbekommen, sondern durchaus beabsichtigt und angemessen dosiert. Kriegt man Gänsehaut von. Und im Hinter- und manchmal auch im Vordergrund zieht sich die Kirchenorgel durch die Songs und sorgt für die restlichen Gänsehautmomente. Die Orgel klingt hier nicht ganz so raumfüllend wie bei den Studioaufnahmen, bei denen meistens riesige Kirchenorgeln zum Einsatz kommen, die wahrscheinlich in Montreux nicht auf die Bühne gepasst hätten. Ein gutes Beispiel ist „Pomperipossa“ vom 2015er Album „The Miraculous“: Die Orgel tritt zurück, mehr Synthies sind zu hören und dafür ist die Stimme um einiges gepresster und aggressiver, was dem Song eine ganz andere Atmosphäre verleiht.

Den Abschluss und absoluten Höhepunkt bildet das fünfzehnminütige „Come Wander With Me / Deliverance“, ebenfalls im Original auf „The Miraculous“ enthalten. Das Stück baut sich langsam auf, Anna von Hausswolffs Stimme erreicht enorme Höhen, nach vier Minuten setzt eine doomartige Passage ein, in deren Verlauf die Gitarren auch mal richtig vor sich hin quietschen dürfen, dann kommen wieder diese monotonen Trommeln (erinnert an Swans, wobei allerdings Anna von Hausswolff gesangsmäßig in einer ganz anderen Liga spielt als Michael Gira), das Stück wird nochmal etwas ruhiger und dann folgt noch ein Psychedelic-Rock-Part, bei dem die Musiker nochmal voll aufdrehen und das Publikum entweder schwindlig spielen oder in Trance versetzen (wahrscheinlich beides).

Am Ende bedankt sich die Künstlerin mit einem schüchtern-sympathischen „Thank you so much!“ und der/die Hörende sitzt immer noch da wie von einem dieser riesengroßen Volvo-Riesentransporter, wie sie überall auf der Welt im Tagebau verwendet werden, überrollt und denkt: „Vow! Schweden.“