Alien Sex Fiend – Possessed – Cherry Red 2018

Von Matthias Bosenick (03.01.2019)

Den Sound der Snare kennen wir seit 35 Jahren, ansonsten liefern Alien Sex Fiend mit „Possessed“ ein Album ab, mit dem wohl weder Fans noch Skeptiker gerechnet hätten. Am ehesten noch scheint es an „Open Head Surgery“ anzuschließen, und das war 1992 schon reichlich umstritten; die Songs tragen heute endlich wieder Strukturen, also diese undefinierte Abfolge von irgendetwas wie Strophe kombiniert mit etwas Wiedererkennbarem, das keinen klassischen Popkonzepten folgt, und die an Unhörbarkeit grenzenden Technik-Experimente der jüngeren Vergangenheit sind gottlob ebendies. Nie klangen die Batcave-Helden erwachsener als hier, nie uneindeutiger einem Genre zuzuordnen: Goth-Rock ist dies nicht, Pop sowieso nicht, kein Dark Ambient, noch am ehesten elektrorockende psychedelische Avantgarde. Grandios! Aber mit einem unschönen Verkaufskniff.

Mrs. Fiend fährt ihren Technikpark auf. Das hat sie immer so gemacht und es funktioniert so besser denn je. Sie programmiert Loops und Strukturen als Grundlagen für die Tracks, nur dass sie sie dieses Mal so organisch hält wie in den Achtzigern, bevor Alien Sex Fiend den (oder das) Acid entdeckten: Keine Wiederholung gleicht der anderen, die Patterns variieren und überraschen. Das wirkt dreckig, defekt, rostig, also lebendig, gelebt, nicht verlebt. Diese Patterns sind zwar grundsätzlich elektronisch, aber eben nicht nur, und die analogen Elemente heben sich von den Synthie-Samples ab und ergänzen sie. So entstehen lange Räume, in denen das Licht unregelmäßig flackert, während man sie durchmisst. Meistens ist es die Gitarre, die für Orientierungshilfe sorgt; überdies das Vermächtnis von Simon „Doc“ Milton, der während der Aufnahmen verstarb. Und man erkennt natürlich die Stimme von Nik Fiend wieder, der die Slogans ruft, murmelt, grantelt, wie man es von ihm zuletzt auch von der Bühne kannte.

„Possessed“ erscheint deshalb klaustrophobisch, so dunkel, wie Alien Sex Fiend selbst zu Batcave-Zeiten nie waren, als sie quasi Teil der entstehenden Gruftszene waren. Aber ein Album wie dieses wäre für heutige Gruftis ohnehin zu experimentell – und womöglich wahrhaftig zu dunkel. Und schön: Mrs. Fiend weiß, wie Sounds zu erzeugen sind, die man sich gern anhört, denn nur, wer das Schöne beherrscht, erzeugt auch überzeugende Hässlichkeit. Wenn also Nik Fiend im elfminütigen „It‘s In My Blood“ alsbald zu klaren Elektroflächen vor sich hin ächzt und dann abrupt die Gitarre dazwischengrätscht, erscheint dieser Lärm nicht deplatziert, sondern zwingend. Und dann wieder diese typische künstliche Snare.

Nach all den mediokren Experimenten der vergangenen 25 Jahre wundert man sich, warum Mrs. Fiend ihre Qualitäten so lang zurückhielt. Satte acht Jahre nach dem letzten Album (abgesehen von den zahllosen Wiederveröffentlichungen und Best-Ofs) gestaltet sie eine unfassbar tiefe Musik. Jede Lücke sitzt, jede gestopfte Lücke nicht minder. Sie reichert die Tracks mit Passenden Elementen an, nichts wirkt erzwungen, aber alles überrascht: Feedbacks, Rückwärtsloops, Hawaiitwang. Und ab Albummitte, nachdem sie den Hörer also ins neue Zuhause eingewöhnt hat, reißt sie die Tapeten herunter und setzt ihn einer fremden Umgebung aus, in der er sich erstmal zurechtfinden muss.

Da rumpeln in „Amnesia“ plötzlich Led-Zeppelin-schwere Beats herum, die eine Trent-Reznor-Gitarre begleitet. Selbst so vermeintlich lustige Interludien wie „Spine-Tingler“ haben eher etwas Beunruhigendes als Belustigendes. „Gotta Get Back“ hat zunächst nicht mal Beats, sondern lediglich einen schleppenden technisch-percussiven Takt, den eine akustische Gitarre beinahe sanft umspielt, was den Song nicht eben lieblich macht. Sobald der Beat einsetzt, erinnert das Stück an fernöstliche Krautexperimente, nur in rückwärts. Drogen nehmen möchte man dazu wohl lieber nicht, aus Angst vor den Visionen. „Invisible“ klingt nach Cold Wave, Minimal Electro, bevor es beinahe episch-hymnisch wird, mit Chorbegleitung und Britpopgitarre zur ASF-Snare. Und in „Neutron“ flirrt die Elektronik zur atmosphärischen Gitarre, bis die zaghaften Beats einsetzen und dem Track eine düstere Rotation verleihen. Eine Mundharmonika im „Bloody Reprisal“ klingt auch nur bedingt nach Alien Sex Fiend – und auch nicht nach der guten Laune, die man damit assoziiert. Was für ein großartiges Album!

Kommen wir aber nun zu den kommerziell fragwürdigen Entscheidungen. Die Band bringt das Album auf CD und als Doppel-LP heraus, das Vinyl hat 14, die CD 12 Tracks. Nun ist es aber nicht so, dass dem Vinyl lediglich zwei exklusive Songs anhängen – eher jein: Auf der CD sind drei Mixe enthalten, die es auf Vinyl nicht gibt, dort dann aber dafür fünf exklusive Versionen. Der Fan braucht also beides. Und vermutlich lohnt sich das auch noch. Blöd nur: Der LP liegt kein Downloadcode bei. Mit „Possessed“ steht es bei Alien Sex Fiend nunmehr in Sachen Studioalben zu Compilations bei ungefähr 13:20, dazu sechs Livealben. Viel Spaß beim Sammeln!